Lebenszeichen 63: Wir waren schon weiter…

 

Irgendwie waren wir schon weiter als heute – am 26. Juli 1987 in Oberwinter, bei meiner Primiz – zum Beispiel, war das Miteinander von Getauften/Gefirmten und Geweihten anging. Es war „dynamisch“.

Die damalige Predigerin war Schwester Dr. Michaela Wachendorfer.
Die Lektoren waren Bernd Becker und Franz Uhr. Wir haben zusammen mit vielen anderen die Kath. Jugendarbeit der Pfarrei St. Laurentius einige Jahre lang gestaltet, begleitet von Pfarrer Herbert Lonquich. Bis heute sind wir alle unsere Wege in und mit der Kirche gegangen….
Schwester Michaela ist heute Leiterin der Kath. Gemeinde auf der Insel Juist.

Am 20. Juli hat die „Kleruskongregation“ eine Instruktion geschrieben.
Hier Schwester Michaelas Reaktion – die ich voll und ganz teile:

Juist den 22.7.2020

Heute am Fest Maria Magdalena schreibe ich diesen Beitrag und kann nur sagen: von den führenden Männern unserer Kirche erwarte ich (fast) nichts mehr. Die Zeuginnen und Zeugen der Auferstehung laufen ganz woanders herum; das glaube ich schon lange! Die Instruktion hat mich erneut in meiner Enttäuschung über die Entwicklungen in der Kirche bestätigt. Die Autorität der führenden Männer zerbröselt immer mehr. So ist keinesfalls mehr Vertrauen zu gewinnen. Ich frage mich, ob das nun Blindheit und komplettes Unvermögen ist, hilflose Ratlosigkeit oder das letzte Gefecht angesichts von zusammenbrechenden Strukturen und auch Inhalten. Manche Analyse der Instruktion erscheint ausgesprochen realistisch und auf den Punkt gebracht. Die Schlüsse, die dann gezogen werden, sind m.E.  rückwärts gewandt und angesichts der Dramatik der Lage unangemessen. Es kommt mir vor, als ob jemand ein Magen-Carcinom hat, und die Ärzte verordnen ihm Fencheltee. Das beruhigt zwar für einige Zeit gewisse Gemüter, es wird aber zu Siechtum und Tod führen. In solche Ärzte kann man nicht vertrauen. Ohne ganz grundlegende Änderungen im „Therapieplan“ wird aus meiner Sicht keine Heilung mehr möglich sein. Dazu müsste klar und deutlich Stellung genommen werden, ohne Angst, ohne Sorge um das Ansehen der Person. Jesus war nicht diplomatisch, sondern deutlich in seiner Botschaft. Das erhoffe ich mir immer noch von den Bischöfen, denen klar ist, dass es einfach so nicht weitergehen kann.

Gleichzeitig werde ich darauf vertrauen, dass sich das Reich Gottes ausbreiten wird. Vielleicht jetzt erst richtig explosiv und vermutlich an ganz anderer Stelle, als wir denken. Ich jedenfalls werde weiterhin hier „meine“ mir anvertraute Gemeinde leiten! Und die ist ziemlich bunt zusammengewürfelt, jeden Sonntag auf Juist eine andere und mit großem Engagement zur Beteiligung. Hier versammeln sich nämlich (noch) Menschen, die Gemeinschaft und Gott suchen und ihr Leben danach ausrichten wollen. Das Wort, das mich da zutiefst leitet, heißt:  „Gebt ihr ihnen zu essen!“ (Lk 9,13)  Das tue ich hier auf der Insel Juist mit bischöflichem Auftrag – sogar ungeweiht! Und dafür werde ich -so Gott will- weiter einstehen.

Sr.Michaela Wachendorfer
(Beitrag für den „Kirchenboten“ im Bistum Osnabrück)

Hier ein Interview mit ihr beim Kölner Domradio.

Meine Reaktion in der Predigt vom vergangenen Sonntag
(17. So i J A zu Mt 13,52).

Liebe Schwestern und Brüder,

heute haben wir 4 kleine Geleichnisse gehört, die anfangen mit
„Mit dem Himmelreich ist es…“
Am letzten Sonntag waren es drei, und davon eins.

Heute ist es der Schatz im Acker, die kostbare Perle. das Netz mit den guten und den schlechten Fischen – und die Schatzkammer des Hausherrn. Auch heute will ich das letzte, kleine Gleichnis sprechen.

Es besteht nur aus einem Satz: Deswegen gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreiches geworden ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt. (Mt 13,52).

Ein Hausherr teilt also aus seinem Schatz Neues und Altes aus. In der Antike ist das Haus ein elementarer und eigenständiger Lebensraum. Dazu gehören die Familienmitglieder, die Bediensteten, Gäste und viele mehr. Der Hausherr ist die zentrale Person. Er leitet sozusagen die innere Organisation, und er ist verantwortlich für die Außenbeziehungen.

In der Schatzkammer befinden sich wahrscheinlich Schätze wie Lebensmittel, Kleider, Haushaltsgegenstände – und vielleicht auch ein wenig Schmuck oder andere Vermögenswerte.

Anders als im Gleichnis vom Schatz im Acker und von der kostbaren Perle geht es hier nicht darum, alles Mögliche zu unternehmen, um die Schatz in den eigenen Besitz zu bringen: hier ist der Schatz schon da, in der Schatzkammer…

Und erstaunlicherweise besteht er aus Neuem und Altem. Interessant, dass Jesus das eigens betont. Worauf will er damit hinweisen?
Und erstaunlich ist auch die Reihenfolge: das Neue kommt zuerst, das Alte an zweiter Stelle.

Jesus kehrt das Antike Denken um, in dem eigentlich das Alte, das Frühere, das Ursprüngliche, das Maßgebende ist. Alles muss sich am Alten messen. Jesus kehrt das Denken um. Im Neuen, das mit ihm anbricht, geht das Alte in Erfüllung. Die alte Verheißung wird wahr – wenn das Neue richtig gedeutet und verstanden wird.

Er geht damit auch noch weiter als der Spruch über dem Eingangstor in St Thomas, in dem sich die Volksweisheit widerspiegelt:

Lasset uns am Alten – so es gut ist – halten.
Aber auf dem Alten Grund Neues wirken jede Stund.

Jesus geht hier nicht von der Eigenständigkeit des Alten aus, sondern davon, dass es durch die Brille des Neuen gelesen werden muss. So wird das Alte zur Tradition. Zur lebendigen Tradition.

Jesus spricht hier von den jüdischen Schriftgelehrten, die sich ihm und seiner Botschaft vom Reich geöffnet haben. Sie sind Jüngerinnen und Jünger des Himmelreiches geworden. Und in der Begegnung mit Jesus, seinen Worten und Taten entdecken sie, wie das Neue schon im Alten angelegt war – und auf das Neue hingewiesen hat. Und damit entsteht eine neue Lesart des Alten – erst durch diese Lesart wird das Alte zum Schatz…. zu einem so großen Schatz, dass der Hausherr ihn austeilen, teilen kann.

So bringt das Neue und das Alte zusammen reiche Frucht, hundertfach, sechzigfach, dreißigfach – um im Bild des Gleichnisses zu bleiben.

Jetzt hat die Vatikanische Zentrale in der vergangenen Woche eine Instruktion, eine Gebrauchsanweisung verschickt, wie wir als Kirche in den Pfarreien umkehren sollen, damit das Evangelium für unsere Welt und Zeit fruchtbar wird. Gute Idee!

Und in der Tat: in dieser Gebrauchsanweisung steht sehr viel Neues, Unerhörtes – was man bisher in Vatikanischen Dokumenten selten zu lesen bekam: da ist von einem „existentiellen Territorium“ die Rede – als von der Tatsache, dass das Leben der Menschen immer weniger von der Geographie als von Beziehungen bestimmt wird. Da ist die Rede von

– der Pfarrei als Netz zwischenmenschlicher Beziehungen (Nr. 24)
– von einer Kultur der Begegnung (Nr. 25)
– von einer Kunst der Nähe (Nr. 26) „nah am Menschen“ ist ja in der Vergangenheit oft genug schief gegangen, zum Thema „Sexueller Missbrauch“ fehlen hier allerdings einige Hinweise.
Aber dass Nähe eine KUNST ist – das finde ich sehr gut formuliert.

Oder auch die Überschrift des 5. Kapitels:
Pfarrei – eine „Gemeinschaft von Gemeinschaften“: Die inklusive, missionarische und auf die Armen bedachte Pfarrei

Oder: Nr. 27. Das Ziel der Mission und Evangelisierung der Kirche ist stets das Volk Gottes als Ganzes. Die Pfarrei ist kein Gebäude oder ein Bündel von Strukturen, sondern ein konkrete Gemeinschaft von Gläubigen….

Genau!

Aber dann kommt es: Zitate aus dem Kirchenrecht von 1983 und von Päpsten… Selbstreferentiell – hatte das Papst Franziskus vor seiner Wahl genannt. Kreisen um sich selbst – mit dem Denkansatz der Antike: das Alte ist maßgeblich. Schluss aus.

Die Pfarrei ist das Haus, der Pfarrer ist der Hausherr, die Schatzkammer sind die Sakramente – und die Predigt in der Messe, die natürlich nur der Pfarrer halten kann … wie du warst vor aller Zeit, so bleibst du in Ewigkeit.

Einige deutsche Bischöfe haben schon aufgemuckt, immerhin, am klarsten finde ich Kardinal Marx, der davon spricht, dass die Instruktion Gräben vertieft und Misstrauen sät. Und dann man so nicht, nicht mehr, in einer Weltkirche miteinander umgehen kann.

War wohl nix – mit geöffneter Schatzkiste und Speisekammer, aus der der Hausherr, oder die Hausherrin die Familie, die Bediensteten, die Freunde, die Gäste und die Notleidenden nährt…

Ich meine, unser winziges Gleichnis – vesteckt zwischen den Giganten – bringt es auf den Punkt: das Alte muss mit der Brille des Neuen gelesen werden. Die Verhältnisse, die sich verändert haben, machen es notwendig, die Überlieferung neu zu lesen – auf andere Lösungen zu kommen als auf die Lösungen, auf die der Codex von 1983 gekommen ist.

Traditionalisten und Traditionalistinnen machen die Tradition kaputt.
Sie brechen den schöpferischen, kreativen Prozess der Tradition ab und machen ihn zu einer Einbahnstraße und zu Sackgasse. Das ist so traurig. Das Erbe muss neu sortiert werden – im Licht des Neuen, der Gegenwart – in der der Heilige Geist genauso am Werk ist wie in den 50er Jahren des letzten und des vorletzten Jahrhunderts.

Wer das Neue – die Kultur der Begegnung, die Kunst der Nähe, die Gemeinschaften von Gemeinschaften, Inklusion an der Seite der Armen, Respekt vor dem „existentiellen Territorium“ und Wertschätzung der Gaben von Menschen – wer das will, muss das Kirchenrecht ändern.

Und wohl nicht nur das Recht, sondern auch den ein oder anderen Abschnitt im Katechismus. Um des Neuen willen.

Liebe Schwestern und Brüder,

kann sein, dass ich in meiner Lesart der Schrift und gerade der Reich-Gottes-Gleichnisse einseitig bin, oder meine blinden Flecken habe. Aber das ist bei den anderen auch nicht anders. Ein Priesterkollege hat diese Tage geschrieben: Regt euch nicht so über die Instruktion auf, sie ist „einfach katholisch“. Ich glaube genau das geht nicht: einfach und katholisch sind Gegensätze. Wenn etwas einfach ist, dann ist es nicht katholisch. Und wenn etwas „katholisch“ ist, dann ist es nicht einfach.
Katholisch bedeutet:  „umfassend“, vielfältig, inklusiv.

Und diese Vielfalt gilt es auszuhalten – und dem anderen den guten Willen nicht abzusprechen. Ich spreche diesem Kollegen, der pastoral sehr aktiv und innovativ ist, seinen guten Willen und sein missionarisches Wirken nicht ab. Ich hoffe, das ist umgekehrt genauso.

Wenn wir das hinbekommen würden, das Miteinander von NEU und ALT, ohne dass einer über dem anderen steht und Vorschriften macht. Dann wäre das ein großer Dienst, den wir „der Welt“ tun würden.

Bevor wir uns weiter gegenseitig zerfleischen, sollten wir vielleicht nochmal in die Schatzkammer schauen….

Ralf Schmitz

Noch eine Erinnerung an den 26. Juli 1987:
Wir haben uns mit Freund*Innen und Bewohner*Innen meines Heimatdorfes Bandorf am Dorfplatz getroffen und sind dann  nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden des Bandorfer St.-Josefs-Vereins zu Fuß (ca. 2 km) zur Kirche St. Laurentius nach Oberwinter gegangen.
Wenn ich mir diese Bilder nach 33 Jahren anschaue, denke ich mir: Das fühlt sich immer noch richtig an. Wir sind auf dieser Spur geblieben.

Hier die Vatikanische Instruktion im Wortlaut:

https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2020-07/vatikan-wortlaut-instruktion-pastorale-umkehr-pfarrgemeinden-deu.html

 

 

3 Antworten auf „Lebenszeichen 63: Wir waren schon weiter…“

  1. Beide Beiträge machen Mut und geben Hoffnung. Es gibt sie noch, die Verantwortlichen, die in der Kirche aufbegehren und einfach ihr „Ding“ machen, ihren Weg in der Glaubensverkündung und Gemeindeleitung gehen, zum Wohle der Menschen, die auch noch gerne in der Kirche mit gestalten und Suchende sind.

    Eigentlich hätte es gereicht, nach beiden Beiträgen einfach nur zu applaudieren, um so zuzustimmen. Aber das geht ja hier nicht akustisch.

  2. Bravo!
    Spannend, was sich da tut!

    Es riecht danach, dass es bei den einschlägigen Instruktionen nicht um „in Wahrheit ist es würdig und recht“, sondern um Ego-Kratie und Macht geht, wie vielfach schon geäußert.

    Frisch vom Leder gezogen:

    Wenn jemand zu weit geht, dann fängt der Fuß an zu stinken. Ein Bild: Kirche als Schuh, der notwendig und im guten Sinne schützt und stützt. Fuß als Leben in allen Dimensionen, auch der spirituellen. Wenn der Fuß gewachsen ist, muss ich den Schuh anpassen, sonst verkümmert er oder wird krank.

    Die Einen haben den Schuh schon ausgezogen, weil er ihnen nicht passt. Die Anderen ziehen ihn nicht aus, obwohl er drückt. Die Dritten gehen gar nicht und leben trotzdem auf großem Fuß, während sie immer noch alte und zu kleine Schuhe verkaufen.

    Alles für die Füß? Na hoffentlich doch, im guten Sinn! Da gibt’s ja noch Die Vielen,,,, sie sind schon unterwegs – und gar nicht auf leisen Sohlen, obwohl das alte Schuhwerk mit seinem Krach das Neue zu übertönen scheint… Engagierte Schuster entwerfen neue Passformen,,, gemeinsam, entschlossen, mutig, mit Herz.

    Da freu ich mich auf die nächste Schuhmesse!

    Jedenfalls, weiß ich, mit wem ich geh.

    Bravo! Weiter so!

    1. Vielen Dank, lieber Gregor, für das sprechende Bild – so wird „ein Schuh draus!“ 🙂
      Die nächste Schuhmesse bei uns ist am kommenden Samstag…. ganz analog in der Kirche oder am Telefon.

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