Nachbetrachtung: tisch_gespräch Nahtod mit Ingo Hanke, Luxemburg – am 13. November

tisch_gespräch: Nahtoderfahrung – eine moderne Osterbotschaft über Auferstehung und ewiges Leben? mit Ingo Hanke

Am Donnerstag, den 13. Oktober 2022, sprach der Theologische Referent und Mitarbeiter Centre de formation diocesain Jean XXIII in Herz Jesu über Nahtoderfahrungen. Der Vortrag setzte sich mit der naturwissenschaftlichen Erforschung von Nahtoderfahrungen und der Darstellung in der Kunst von Tod/ Hoffnung auf ewiges Leben auseinander. Die anschließende theologische Reflektion des Vortragenden konnte nicht überzeugen. Organisiert wurde der Vortrag von der KEB Gusterath und deren Beauftragte Ingeborg Michalke in Kooperation mit sredna-herzjesu e.V. Eine Nachbetrachtung.

 Ingo Hanke ist 10 Jahre in der Alten- und Krankenpflege tätig gewesen. Er hat Erfahrungen im Umgang mit Tod und Sterben. Man nimmt ihm ab, dass es ihm wichtig ist, Menschen am Lebensende zu begleiten und Hoffnung zu verbreiten, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.

Hankes Betrachtungen zum Thema Tod und der Hoffnungsbotschaft, dass es ein Leben nach dem Tod gebe, beginnen mit der Betrachtung von Bildern von Albrecht Dürer, Jacob Marrel und Hieronymos Bosch. In all diesen Bildern ist eine verdichtete Symbolik zu erkennen, die die Dynamik von Vergänglichkeit des Lebens (dargestellt durch einen Totenschädel) und die Fülle des Lebens (dargestellt durch Pflanzen, Kulturprodukte wie Bücher und Musikinstrumenten) als existentielle Frage der Menschheit thematisiert.

Hanke interpretiert diese Bilder als Bewältigungsgeschichten: Die Angst vor dem Sterben und vor dem Tod bringt Angst und Unruhe mit sich. Der Mensch braucht Bilder, die dieser Endlichkeit eine Hoffnung entgegensetzen.

Aus dieser kulturgeschichtlichen Betrachtung heraus erklärt Hanke, dass er verwundert sei, dass in Krankenhäusern das Thema Tod und Sterben tabuisiert worden sei. Erst durch die schweizerische Psychologin Elisabeth Kübler-Ross und ihre Studie Interviews mit Sterbenden sei dieser Enttabuisierung entgegengewirkt worden. In Folge von Kübler-Ross hatten Mediziner dann das Thema Nahtoderfahrung für sich entdeckt. Studien von den Ärzten Sam Parnia und Pim van Lommel untersuchten Menschen, die klinisch Tod waren (starre Pupillen, Lungen- und Herzstillstand und keine Darstellung der Hirnaktivität), und die durch Reanimation wiederbelebt worden, und in Folge der Wiederbelebung von Nahtoderfahrungen berichten konnten. Diese Studien widerlegten die Annahme, dass Nahtoderfahrungen durch Halluzination oder Sauerstoffentzug ausgelöst wurden sind. Das Ergebnis der Studien war, dass das Bewusstsein ohne das Gehirn existierte. Hanke deutet diese Ergebnisse als eine kopernikanische Wende in der Neurobiologie.

Während Hankes Ansatz sympathisch ist, einen neurobiologischen Determinismus zu widerlegen, der besagt, dass Bewusstsein und Gefühle nur durch materielle biologische Grundlagen (das Gehirn) funktionieren, verfällt er leider im zweiten Teil seines Vortrags in einen theologischen Determinismus, der leider nicht überzeugt. Doch auch hier hätte es einer Diskussion zu den neurobiologischen Ergebnissen bedurft, die auf Grund der einseitigen Darstellung von Parnia und van Lommel nicht gegeben war.

Nach Hankes Ausführungen zu den medizinischen Studien kommt Hubert Ries zu Wort. Ries hatte als junger Mann eine Nahtoderfahrung, die er literarisch niedergelegt hat. Er schreibt, wie ihn als junger Mann die Kräfte beim Schwimmen in einem schottischen See verließen. Als er das dritte Mal untertaucht, spürt er: Er wird sterben. Sein Leben in Bildern geht an ihm vorbei: Alle Bilder sind in ihren Konturen klar erkenn- und trennbar und werden doch eins. Da ist keine Angst vorm Tod und vorm Sterben, wohl aber die Sorge um die Menschen, die er hinterlässt. Die Sprache vollzieht einen Spagat zwischen Ich- und Vogelperspektive. Alles wird eins und ist dennoch differenziert, widersprüchlich und wird als Ganzes angenommen.

Im zweiten Teil seines Vortrags wechselt Ingo Hanke auf einmal seinen Vortragsstil: Anstatt das literarische Zeugnis von Hubert Ries zu würdigen und Elemente in Bezug zu anderen Nahtoderfahrungen zu stellen, zerpflückt er es und leitet einen universellen Code des Narrativs Nahtoderfahrung ab. Das ist einerseits schwierig, da er behauptet, alle Nahtodberichte hätten eine positive Darstellung, obwohl andere Studien belegen, dass 20% der Nahtoderfahrungen als beängstigend beschrieben wurden. Andererseits predigt Hanke über diese Berichte und führt damit einen recht manipulativen Sprechstil ein, der nicht mehr, wie es in der Erwachsenenbildung üblich sein sollte, über Sachverhalte zu reden, sondern emotiv ein Läuterungserlebnis und eine Gotteserfahrung ableitet. Die acht Kriterien von Nahtod-Berichten, die Hanke einführt, passen mal mehr oder weniger auf Hubert Ries‘ Geschichte, verklären aber mit Ausdrücken wie Lichtgestalten oder Lichterlebnis die verdichtete Erfahrung von Angst ums Leben, der inneren Akzeptanz zu sterben, der Sorge um Freunde und Familie.

Hanke schließt seine Analyse des Erzählbogens von Nahtoderfahrungen, dass deren Elemente und Bilder keine Metapher seien, sondern eine Realität. Diese Aussage ist so unpassend, als würde man annehmen, dass bei jeden Suppenrezept, in dem die Verwendung einer Prise Salz steht, das Rezept selbst Salz sei.

Hankes Predigt weist keine überzeugende Argumentation auf, sondern verwebt wild Assoziationen. Diese wenig überzeugenden Aussagen verbindet Hanke mit der Referenz auf Stellen aus dem Neuen Testament. Während er in Lk 20, 37-40, 1 Kor 15, 42-44 oder 2 Kor 12, 2-4 Nahtoderfahrungen sieht, fehlt hier eine kritische Einordnung der Texte in literarische Gattung, Traditions- und Motivgeschichte. Seine bestenfalls rezeptionsästhetische Lektüre der Texte lassen daher theologische Tiefe vermissen und bleiben nichts anderes als eine Predigt, die selbst auf der Suche ist eine Hoffnung zu begründen, die im Angesicht unserer Endlichkeit ein hartes Brot ist.

Hätte Hanke seinen eigenen Ansatz ernst genommen und von Nahtoderfahrungen als Erzählungen/Narrative zu sprechen, wäre eine andere Herangehensweise möglich gewesen: In der Deutung von Philosophen wie Judith Butler, Louis Althusser, Michel Foucault oder Emanuel Levinas wird der Mensch erst Subjekt durch die äußere Anrede. Erst die Ansprache durch das Du, macht den Menschen zum Ich. Das Ich ist nicht gegeben, sondern muss als grammatische Formel und als juristisches Subjekt Ich erst erlernt werden. Durch diese Trennung von Du – Ich sucht der Mensch nach einer Einheit/Vereinigung mit sich und den Menschen, die ihn umgeben, und mit Gott. Doch die Trennung von Du – Ich führt zu einer Spaltung mit der erhofften Einheit mit der Welt, die noch dadurch verstärkt wird, dass durch die Angst vor unserer Endlichkeit ein unüberbrückbarer Riss entsteht. Wenn nun bei einer Nahtoderfahrung als Erzählung/Narrativ diese Trennung zwischen Ich, Du Welt/Gott akzeptiert werden kann und in Einheit mit der Gesamtheit der nicht vereinheitlichbaren Erfahrungen in unserem Leben, dann kann die Nahtoderfahrung als inneren Frieden gedeutet werden. Die Trennung Du – Ich kann genauso angenommen werden wie unsere Endlichkeit. Wenn dann die Unterschiedlich- und Widersprüchlichkeit von Wörtern als Gesamtheit akzeptiert werden können, weil die Trennung von Du und Ich keine Existenzgefährdung mehr ist, dann kann man das Du als die erste Ansprache der Welt mit der man eins wird oder als liebevolle Ansprache Gottes verstehen. Nicht als Determinismus, sondern als Credo: Ich glaube – als eine Entscheidung!

Hubert Ries hat mir im Nachgang noch folgende Gedanken aus seiner zugleich literarischen und autobiographischen Schilderung seines Nahtod-Erlebnisses mitgegeben:

„Der Mensch soll zuerst erkennen, dass die Konfliktsituationen in seiner eigenen Seele sind, und dann soll er diesen seinen inneren Konflikt zu überwinden suchen, um nunmehr als Gewandelter, Befriedeter zu seinen Mitmenschen auszugeben und neue gewandelte Beziehungen zu ihnen eingegehen.“
Oder mit den Worten Hilde Domins gesprochen:

Bitte
Ich wurde eingetaucht
und mit den Wassern der Sintflut gewaschen
Ich wurde durchnässt bis auf die Herzhaut

der Wunsch verschont zu bleiben taugt nicht
Es taugte die Bitte …. dass ich aus der Flut
dass ich aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler stets von neuem
zu mir selbst entlassen werde

– Marc-Bernhard Gleißner, M.A.

ANKÜNDIGUNG:

In der Pandemie erscheint der Tod als statistische Größe. Aus der Perspektive  der weltweit verbreiteten  Nahtod _Berichte gewinnt  der Tod  ein anderes Gesicht.  Er ist keine anonyme Endstation sondern ein persönlicher Übergang in  ein neues Leben. Der Referent selber ist als Krankenhaus Seelsorger Menschen  mit Nahtoderfahrungen  begegnet. Er wird auf dieses  weltweit – vor allem von medizinischer Seite erforschte – Phänomen eingehen und die verschiedenen Stadien beschreiben, die diese Erfahrungen  prägen. Auch die Kritik von naturwissenschaftlicher Seite wird erörtert. Im Weiteren vergleicht er die Unsterblichkeitsbilder der Christlichen Tradition  mit der Nahtoderfahrung.
Ingo Hanke
ist Theologischer Referent und Mitarbeiter in der Erwachsenenbildung des Centre de formation diocesain Jean XXIII. 10 Jahre  Tätigkeit in Alten – und Krankenpflege. Erfahrung im Umgang mit Tod und Sterben. Fortbildung in klinischer Seelsorge.
Kontakt
Ingeborg Michaelke, KEB Trier/Gusterath.
Katja Bruch, Pastoraler Raum Trier Katja.Bruch@bgv-trier-de

Eine Antwort auf „Nachbetrachtung: tisch_gespräch Nahtod mit Ingo Hanke, Luxemburg – am 13. November“

  1. Menschliche subjektive Erfahrungen an der Grenze zwischen Leben und Tod –
    Herrn Ries Dank für seine sehr persönliche Schilderung – machen nachdenklich, betroffen und können zugegebenermaßen auch faszinieren und von Wesentlichem ablenken. Sie sind durchaus auch auslösbar durch Drogen, experimentell durch Sauerstoffmangel, Meditation…..
    Neurowissenschaftlich werden sie kontrovers diskutiert. Was bleibt für Sinn-Suchende im Leben und die, die durchaus mit Ängsten an ihr Lebensende denken? Wenn diese Erfahrungen zu einem erfüllteren, existentielleren Leben im Hier und Jetzt verhelfen – Gut! Es bleibt: der Tod ist eine unüberwindbare Grenze für menschliche Vorstellungen. Mystiker und große Künstler nähern sich, für Christen kann der Glaube an Jesus Christus, der uns vorausgegangen ist, Hoffnung und Kraft geben.

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