Am 1. November feiern wir das Fest Allerheiligen.
Da schauen wir auf Menschen, die Jesus gefolgt sind – am Reich Gottes mitgebaut haben – in ihrer Zeit, an ihren Orten. Sie haben ihre Frau/ihren Mann gestanden im Alltag, in der Familie, im Beruf, im Ehrenamt, politischen Leben, in der Kultur, in der Kirche, in der Nachbarschaft.
Wir danken Gott für alle, denen kein Altar gebaut und kein kirchliches Fest gewidmet wurde – in einem feierlichen Gottesdienst.
Begrüßung
Lied: Audeámus ómnes in Dómino
„Freut euch alle im Herrn am Fest aller Heiligen;
mit uns freuen sich die Engel und loben Gottes Sohn!“
Unter diesem Eröffnungsvers steht das Allerheiligenfest,
liebe Schwestern und Brüder, und ich begrüße Sie herzlich!
Der wunderschöne Herbsttag hat uns vielleicht ein wenig abgelenkt von der Situation um uns herum – von der Pandemie, von steigenden Infektionszahlen, von drastischen Maßnahmen, die ab Montag das Leben einschränken, von den vielen Ängsten, die verständlicherweise mit den kommenden 4 Wochen verbunden sind – und was danach kommt: wer weiß.
Das Allerheiligenfest lädt uns ein, für einen Augenblick das Um-Uns-Herum zu vergessen, und – nach vorn zu schauen, nach oben – in die Welt, die kommt – und die immer schon war und ist.
In das „Parallel-Universum“, sozusagen. Dort werden alle Tränen getrocknet, es wird ein Festmahl sein, mit dem Herrn, der die Seinen, die Mägde und die Knechte, der Reihe nach bedient. Es wird Gerechtigkeit – und Frieden.
Das Lamm wird nicht mehr zur Schlachtbank geführt, sondern herrschen.
Die Opfer – die wirklichen Opfer – sitzen zu Tisch.
Diesmal geht’s nicht um die großen Namen, schon gar nicht um die, die die irdische Kirche zur Ehre der Altäre erhoben hat. Es geht im die vielen kleinen Namenlosen, die versucht haben aufrecht durchs Leben zu gehen –das Richtige im Falschen zu tun – die Gerechten, die nicht zum Helden oder zur Heldin taugen. „Expert*innen des Alltags“ werden sie in unserem Projekt „Kulturelle Diakonie“ genannt. Sie sitzen am Tisch – und werden vom Herrn bedient. Ein unglaubliches Bild. Tröstlich.
Bitten wir Gott darum, dass uns diese Aussichten trösten und beflügeln – auf dem Weg durch den in diesem besonders trüben, kontaktarmen November.
Bitten wir Gott um sein Erbarmen.
Predigt
„Was haben Sie es hier so schön!“ sagte der alte Mann, stützte sich auf seinen Stock, die Mund-Nase-Abdeckung am Kinn. Er saß hier vorn auf der Bank und schaute ins Gewölbe, in die bunt erleuchtete Kirche, ein Glas mit Wein an der Seite. „Was haben Sie es hier so schön! Eben kam ein junger Mann und sagte: Mit der katholischen Kirche habe ich nicht mehr so viel zu tun, aber hier fühle ich mich zuhause! Was haben Sie es hier so schön, so gastfreundlich – und so offen!“
Liebe Schwestern und Brüder,
es tut schon gut, wenn einer der wirklich großen geistlichen Schriftsteller unserer Zeit so etwas sagt: Fulbert Steffensky, 85 Jahre alt – im Saarland geboren, Mönch in Maria Laach, Evangelischer Religionspädagoge in Hamburg, Ehemann von Dorothee Sölle und nach ihrem Tod vor 10 Jahren wieder verheiratet mit seiner derzeitigen Frau in Luzern in der Schweiz.
Er sprach hier über das Thema „Ganzheit im Fragment. Fragen an den Grenzen des Lebens“. Es war ein unvergesslicher Abend voller Weisheit, Gelassenheit, Humor und Inspiration. Seine Gedanken kreisten um das Thema „Was soll, was kann sein am Ende meines Lebens?“ Und je mehr er seine Gedanken entfaltete, desto mehr sprachen sie auch Menschen an, die – nach eigener Wahrnehmung und Einschätzung – noch nicht an der Schwelle des Todes stehen. Wie falsch die Einschätzung sein kann und wie schnell sich das Blatt wenden kann, wissen wir alle.
Fulbert Steffensky benannte 3 Aufgaben, die er sich für diese letzten Lebensphase – nach menschlichem Ermessen gestellt hat: Danken, Bereuen und Resignieren.
Danken – keiner hat sein Leben allein gelebt. Wir sind alle verwoben in das Leben anderer. Wir stehen auf den Schultern von anderen. Unsere Ideen unsere Bilder, unsere Gebete und Lieder sind „geklaut“… und das ist nicht schlimm, sondern ganz selbstverständlich – wenn man es zugibt. Er erzählte von griesgrämigen alten Menschen, die nur klagen… Er sagte zu einem: „Ich besuche Sie nur dann weiter, wenn Sie bei jedem Besuch erzählen, wofür Sie dankbar sind – wenigstens ein Dank.
Bereuen – das ist eine große Herausforderung und eine große Chance. Bereuen kann ich nur, wofür ich mich schuldig fühle und auch schuldig erkläre. Er sagte: Es ist ein Zeichen von Würde, wenn ich Schuld eingestehen kann. Das macht mich zum Menschen. Ein beeindruckender Gedanke: das Eingeständnis von Schuld nimmt mir meine Würde nicht – im Gegenteil: es gibt sie mir zurück. Dieser Tage wies die katholische Journalistin Christiane Florin darauf hin, dass sich bei unseren Bischöfen in Bezug auf die Verstrickung in die Vertuschung des Missbrauchs ein neuer Begriff einspiele: Mit-Verantwortung. Bischöfe sind nicht schuldig, sondern mitverantwortlich. Seltsam, dass gerade die höchsten Vertreter unserer Kirche, die den Leuten jahrhundertelang gepredigt hat, dass sie ihre Schuld bekennen und bereuen sollen, dass die nur noch „mitverantwortlich“ sind. In Steffenskys Worten: Wenn sie nur mit-verantwortlich waren, wird ihre Würde nicht wieder hergestellt.
Resignieren – die Zeichen der Königswürde/der Bischofswürde ablegen: Krone und Zepter, Mitra und Stab, Amtskreuze und Ringe. Abdanken eben. Mit Gelassenheit. Ohne Auftrag an die nächste Generation. Steffensky sagte: „Es ist nicht die Aufgabe der nächsten Generation, die Dinge zu vollenden, die unsere Generation nicht erledigt hat!“ Das ist vielleicht das Schwierigste.
Wir haben in dieser Woche darüber gesprochen, dass ein Kollege seinen Dienst beendet und dann seine Aufgabenfelder an andere übergeben will. Mit Steffensky im Ohr habe ich gesagt: „Abgeben, nicht übergeben!“ Wir werden sein Werk nicht zu Ende führen, zu Ende führen können.
Was am Ende bleibt, werden Fragmente sein. Unfertiges. Stückwerk. Puzzlestücke. Wir werden Dinge nur „halb“ geschafft haben. Und die Hälfte, sagte Steffensky, die Hälfte ist schon viel!
Diese Gedanken waren so entlastend und wohltuend, gerade für so einen Perfektionisten wie mich. Nein, es muss nicht alles perfekt und heil und ganz und gut, ja sehr gut sein – das gibt es erst im Himmel. Vorher stehen Teilerfolge, Scheitern, Angefangenes, Unfertiges. Die Hälfte, die ist schon viel.
Wenn ich die Worte der Bergpredigt höre und lese, dann denke ich immer wieder: solche Menschen gibt es doch gar nicht, jedenfalls nicht in Reinkultur: Menschen, die ganz arm sind vor Gott, Menschen, die keine Gewalt anwenden, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, die barmherzig sind, die ein reines Herz haben…. Gibt es Menschen, die wirklich so sind und nur so?
Die meisten von uns leben mit Fragmenten, Bruchstücken. Sie bekommen auch nur Bruchstücke zusammen, liefern Fragmente ab. Und anstatt diese gering zu schätzen und abzuqualifizieren, rät Fulbert Steffensky sie wertzuschätzen in in ihren die verborgene Ganzheit zu entdecken, die uns ausmacht – aus der Perspektive Gottes.
Liebe Schwestern und Brüder,
so gesehen feiern wir heute an Allerheiligen, dass wir alle Fragmente sind und Fragmente abliefern – und dass das aus der Persektive Gottes nicht schlimm ist – kein Problem. Gott nimmt uns liebend an – wird das vollenden, was vollendet werden sollte; wird das beenden, was nicht in seinem Sinn war – und wird uns diejenigen sein lassen, die wir sein können.
Was ist das hier so schön, ein wunderbarer Ort – sagte Fulbert Steffensky, als er dann mit Bruder Ansgar von St. Matthias in die Abtei fuhr – nach einem schönen Abend mit einem persönlichen Ausklang. Ein wunderbarer Ort – wo uns solche Weisheit geschenkt wird. Eine Weisheit, die leben lässt. Amen.
Fürbitten
Jesus preist diejenigen selig, die barmherzig sind und Frieden stiften. So beten wir zu Gott – in den großen Anliegen unserer Welt und Zeit.
Wir beten für alle Menschen, die arm sind und hungrig;
für alle, denen das Lebensnotwendige fehlt,
für alle, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.
Wir beten für alle Menschen,
die im kommenden Corona-Lockdown ihren Beruf nicht ausüben können und um ihre Existenz fürchten;
Kulturschaffende, Menschen, die andere bewirten und beherbergen;
Selbstständige und Angestellte.
Barmherziger Gott – Wir bitten dich, erhöre uns.
Wir beten für die Menschen in Südostasien im Taifun Molawe
und in den USA im Hurrikan Zeta
und in der Türkei und in Griechenland nach dem schweren Erdbeben in der Ägäis;
und für alle Menschen, deren Leben von Natur- und Klima-Katastrophen bedroht ist.
Barmherziger Gott – Wir bitten dich, erhöre uns.
Wir beten für die Menschen, die gewaltlos leben;
für die Engagierten für eine Welt ohne tödliche Waffen und neue Rüstung.
Und für alle, die unter Gewalt und Krieg zu leiden haben.
Wir beten für unsere Nachbarn in Frankreich,
die Opfer von terroristischen Attentaten wurden und bedroht sind;
für alle Menschen überall, die wegen ihres Glaubens und ihrer Überzeugungen verfolgt werden.
Barmherziger Gott – Wir bitten dich, erhöre uns.
Wir beten für die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft,
die gerechte und gleiche Lebenschancen für alle schaffen.
Für alle, die die Verantwortung tragen für die derzeitigen Beschlüsse in Politik, Wirtschaft und Gesundheit –
auf der Ebene des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Europäischen Union.
Barmherziger Gott – Wir bitten dich, erhöre uns.
Wir beten für alle Menschen, die sich anderer erbarmen
und ihnen in ihrer Not helfen,
für die Einsatzkräfte bei Unwettern und anderen Katastrophen,
für die Menschen, die in Krankenhäusern und Altenheimen arbeiten.
Für beten für alle, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben und die ernsthaft an Covid 19 erkrankt sind.
Für alle, die die Pandemie immer noch nicht ernst nehmen.
Barmherziger Gott – Wir bitten dich, erhöre uns.
Wir beten für die Friedensstifterinnen und –stifter
und für die vielen überall auf der Welt, die auf Frieden warten –
auf Frieden zwischen Menschen und Völkern und zwischen Menschen und Schöpfung.
Wir beten für alle, den Kontakt suchen und halten zu Menschen, die Opfer von Verschwörungstheorien geworden sind.
Barmherziger Gott – Wir bitten dich, erhöre uns.
Für alle Menschen, die um ihre Lieben trauern;
für alle, die im vergangenen Jahr einen Angehörigen verloren haben.
Für alle, die trauern, weil eine Beziehung zerbrochen ist.
Barmherziger Gott – Wir bitten dich, erhöre uns
Guter Gott, Jesus zeigt uns den Weg ins Leben –
für uns selbst und alle Menschen und die ganze Welt, die du liebst.
Wir danken dir für ihn und mit ihm und loben dich im Heiligen Geist. Amen.
Zum Schluss
Zum heutigen Reformationstag, 2 Tage vor dem neuen Lockdown, ein Text von Martin Luther aus dem Jahr 1527 im Angesicht der Pest in Wittenberg:
„Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde.
Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.“
(Quelle: Luthers Werke, Band 5, Seite 334f)
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