Ehe… für wen?
Eine persönliche Einschätzung der Diskussion über die Ehe für Alle in der Alt-Katholischen Kirche. Von Dirk Kranz
Gerade – es ist der 15. März 2021 – lese ich, dass die römisch-katholische Glaubenskongregation mit einem klaren Nein zur Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften Stellung bezogen hat; der Papst habe die Entscheidung „gutgeheißen“. Eine Überraschung ist das freilich nicht. Die Glaubenskongregation bleibt sich treu, und Franziskus zeigt sich im Grundsatz unbeweglich, wenngleich im pastoralen Einzelfall durchaus zugewandt. Wie steht es in der Alt-Katholischen Kirche um Segnung und Trauung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften?
Niederlande: Drei Formen der Ehe
Ein Blick über die Grenze: In den Niederlanden heiraten altkatholische Lesben und Schwule kirchlich – fast – ganz „normal“. Sie lassen ihre Ehe einsegnen. Allerdings werden drei Formen der Ehe ontologisch (d.h. vom Wesen her) unterschieden: Es gibt die heterosexuelle, die lesbische und die schwule Ehe. Welcher Unterschied rechtfertigt die sinnvolle Rede von drei Eheformen?
Die Biologie alleine kann das definierende Kriterium kaum sein, insbesondere nicht die Tatsache, dass die biologische Fortpflanzung nicht allen möglich ist. Denn dann hätte man zwischen lesbischer und schwuler Ehe nicht unterscheiden müssen. Wenn es keinen gravierenden Unterschied gibt, ist die dreifache Ehe meines Erachtens ebenso (wenig) plausibel wie spezifische Eheformen für rechts- und linkshändige Menschen.
Österreich: In Richtung Ehe für Alle
Die österreichische altkatholische Kirche fasst Partnerschaftssegnung und traditionelle Trauung unter dem Titel „Lebensbund“ zusammen, so etwa in den Kirchenbüchern, wo man seit 2019 auf die Unterscheidung zwischen Ehe und Partnerschaftssegnung verzichtet. Auslöser dieser Vereinheitlichung war die Einführung der staatlichen Ehe für Alle und die damit verbundene Öffnung der Partnerschaftseintragung für Alle.
Wenn man die Verlautbarungen der Altkatholischen Kirche Österreichs liest, hat man den Eindruck, dass man auch kirchlich gerne die Ehe für Alle einführen würde. Dies geschieht allerdings mit Rücksicht auf andere Mitgliedskirchen der Utrechter Union noch nicht. Jedoch sieht man sich auf dem Weg dorthin. „Gleicher Wert und gleiche Würde“, betont Bischof Heinz Lederleitner.
Schweiz: Ehe für Alle mit Hindernis
Die Christkatholische Kirche sieht sich nun in einem gewissen Zugzwang, auf die sich abzeichnende staatliche Ehe für Alle zu reagieren; die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ist seit einigen Jahre Praxis. Es gab eine breite innerkirchliche Diskussion und schließlich eine außerordentliche Synode zum Thema. Hierzu waren nicht nur die offiziellen Synodalen eingeladen, sondern auch interessierte Kirchenmitglieder. Damit wollte man die Synode – ausdrücklich keine Entscheidungs-, sondern eine Beratungssynode – auf ein breites Fundament stellen. Vier unterschiedliche Modelle wurden diskutiert. Am Ende sprach sich eine übergroße Mehrheit für die kirchliche Ehe für Alle aus, also die Öffnung des Ehesakraments für Menschen unabhängig ihres Geschlechts.
Im Anschluss hat sich Bischof Harald Rein zu Wort gemeldet. Das Mehrheitsmodell der Synode will er nicht akzeptieren – es ignoriere Schrift und Tradition, außerdem die
Bipolarität von Mann und Frau, verbunden mit der Möglichkeit der natürlichen Weitergabe des Lebens. Diese Reaktion führte wiederum zu großer Enttäuschung, ja Entrüstung. Der Schweizer Bischof will die Angelegenheit, nachdem die außerordentliche Synode kein Votum in seinem Sinne ausgesprochen hat, zur Glaubensfrage deklarieren. Er favorisiert ein Modell, das sich an dem des deutschen Bischofs orientiert.
Deutschland: Segnung mit offener Rezeption
Auch in Deutschland ist die Partnerschaftssegnung liturgische Realität, seit 2014 mit einem eigenen Formular. Dadurch angestoßen wurde eine ausführliche Diskussion über den sakramentalen Charakter der Partnerschaftssegnung; sie fand in vielen Gemeinden und auch auf Bistumsebene statt. Ob es eine ähnlich eindeutige Haltung zur kirchlichen Ehe für Alle gibt wie in der Schweiz, ist unklar, aber nicht unwahrscheinlich, wenn man die Ergebnisse der RELAK-Kirchenstudie zugrunde legt. Einen Synodenbeschluss gibt es hierzulande (noch) nicht.
Bischof Matthias Ring plädiert dafür, dass die Frage nach der Sakramentalität der Partnerschaftssegnung durch die Rezeption entschieden wird – also dadurch, wie die Kirchenmitglieder die Segnung bzw. Trauung von Menschen des gleichen Geschlechts wahrnehmen und bewerten. Er will die Liturgische Kommission beauftragen, ein neues Formular zu erstellen, das mehrere Segnungs- und Trauriten vereinigt. Aus ihm kann ein Paar auswählen, welcher Ritus zu ihm passt. Einerseits spiegelt sich in diesem Vorgehen eine salomonische Weisheit im Bemühen um Ausgewogenheit und Zusammenhalt, andererseits, so könnte man einwenden, lässt die Entscheidung, nichts zu entscheiden, Klarheit und Haltung vermissen.
Zwischenfazit
Aus der Situation in den vier Schwesterkirchen wird meines Erachtens eines deutlich: Minderheitsfragen sind selten randständig, sie betreffen oftmals den Kern unseres (hier: kirchlichen) Miteinanders. Es geht um Prinzipielles. Drei Gedanken will ich nachfolgend dazu ausführen.
Erstens: Geschlechterfragen
Wenn wir ernsthaft zwischen der heterosexuellen Trauung und anderen Formen der Partnerschaftssegnung unterscheiden wollen, brauchen wir dazu gute Gründe. Solche Gründe können in der Schrift und Tradition liegen und Diskriminierung, also Unterscheidung, rechtfertigen. Ich kenne die einschlägigen Bibelstellen und das traditionelle Familien- und Partnerschaftsideal. Auch kann ich die entsprechenden Argumente nachvollziehen; gutheißen hingegen muss ich weder Biblizismus noch Traditionalismus.
Die Argumentationsmuster erinnern mich sehr an die Diskussion zur Frauenordination. Auch gegen diese konnte und kann man Schrift- wie Traditionsgründe anführen – muss man aber nicht; es gibt plausible Gegengründe. In den 1990er Jahre hat man in der Alt-Katholischen Kirche leidenschaftlich über die Frauenordination gestritten. Ich frage mich, warum ich innerkirchlich kaum feministische Stimmen in der Diskussion über die Ehe für Alle höre.
Hat sich der alt-katholische Feminismus mit der Frauenordination erledigt? Das wäre ausgesprochen schade. Gerade zu Fragen der Gleichberechtigung der Geschlechter trotz Schrift und Tradition, zur Verquickung von Amt und Macht, von Struktur und Sakrament wären wertvolle feministische Beiträge zu erwarten. Auch neuere
gendertheoretische Ansätze zur Vielfalt der Geschlechter, zu Heteronormativität und Intersektionalität würden unsere Diskussion bereichern.
Zweitens: Synodalität
Die Alt-Katholische Kirche schreibt sich Synodalität auf ihre Fahnen. Welche Bedeutung hat die Synode, wenn es um die Öffnung eines Sakraments – seinerzeit die Frauenordination, heute die Ehe für Alle – für Menschen geht, denen dies bislang verwehrt war? Hat die Synode hier Entscheidungsbefugnis? Die formelhafte Antwort, man möge Synodalität nicht mit Demokratie verwechseln – man hört sie in allen Konfessionen –, hilft meines Erachtens nicht weiter. Aus ihr höre ich immer noch einen überheblichen, antimodernistischen Zungenschlag. Wenn ich es richtig verstehe, bemüht sich eine Synode um eine möglichst einmütige und vor allem geistreiche Entscheidung über eine Streitfrage der Kirche. Geistreich – das heißt im Hinblick auf die Ehe für Alle doch vor allem: im Geiste einer jesuanischen Ethik.
Man sagt, der Geist weht, wo er will. Aber wer weiß, ob er auch eine Synode durchweht? Die Mehrheit der Synodalen, selbst ihre Einstimmigkeit, ist ein Anhaltspunkt, keine Sicherheit. Letztere kann aber auch kein Bischof bieten; eigentlich eine Binsenweisheit in der Alt-Katholischen Kirche, die ja aus dem Protest gegen die dogmatisierte Unfehlbarkeit hervorgegangen ist. Wie kann man verhindern, dass es letztlich nicht um den Geist geht, sondern um nachrangige Anliegen und Ängste der Synodalen: Kann ich meine Interessen durchsetzen, werden Kirchenmitglieder austreten, werden wir bei anderen Kirchen einen Statusverlust erleiden?
Die alt-katholische Theologie hat immer wieder einen ekklesiologischen Schwerpunkt gesetzt, sich also mit Fragen der Kirchenordnung auseinandergesetzt. Nun gibt es die konkrete Gelegenheit, die einzelnen Schritte hin zu bzw. weg von der kirchlichen Ehe für Alle ekklesiologisch zu reflektieren. Inwiefern liefert die bischöflich-synodale Kirchenordnung einen geeigneten Entscheidungsrahmen? Wie sind die unterschiedlichen Prozesse innerhalb der Utrechter Union zu bewerten?
Drittens: Ökumene
Behutsamkeit in der Frage der Öffnung des Ehesakraments wird immer wieder mit ökumenischer Rücksichtnahme begründet. Auch diese Formel ist ebenso richtig wie leer. Um welche ökumenischen Partner geht es?
Geht es um die Römisch-Katholische Kirche? Wie wir in diesen Tagen erleben, gibt es viel Stagnation, aber auch Aufbruch. In so manchem Bistum nehmen Kirchenmitglieder wie Kleriker die Stellungnahme der Glaubenskongregation nicht mehr einfach hin. „Die Türen meiner Kirche stehen weiterhin für alle offen, die sich nach Gottes Segen sehnen“, schreibt ein befreundeter römisch-katholischer Pfarrer mit Rückendeckung der Gemeinde – und seines Generalvikars.
Geht es um die Orthodoxie? Ein Blick nach Griechenland und vor allem Russland zeigt, dass wir hier von den Kirchenführern wenig erwarten dürfen. Aus ihrer Sicht – wenn sie es denn überhaupt bemerkten – hat sich die Alt-Katholische Kirche schon mit der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit dem Teufel eingelassen. In den besagten Ländern ist kaum eine Institution so menschenverachtend gegenüber sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten, wie es die Kirchen sind. Unser Respekt und Solidarität sollte jenen Menschen gelten, die gegen diese Menschenverachtung ankämpfen.
Geht es um die mit uns besonders verbundenen anglikanischen und evangelischen Kirchen? Zumindest in Europa und Nordamerika führen sie ebenfalls eine lebhafte
Diskussion über die Öffnung des Ehesakraments. In Deutschland haben sich die allermeisten evangelischen Landeskirchen für die kirchliche Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ausgesprochen. Zugegeben: Die Frage nach der Sakramentalität stellt sich ihnen nicht, da für sie Taufe und Mahl die einzigen Sakramente sind.
Nun gibt es auch die Ökumene innerhalb der Utrechter Union. Sie muss uns besonders am Herzen liegen. Bislang war von den Kirchen der Niederlande, Österreichs, der Schweiz und Deutschlands die Rede. Es wird immer wieder kolportiert, die Kirchen Polens und Tschechiens hätten die größten Probleme mit der kirchlichen Ehe für Alle. Mir liegen hierzu leider keine konkreten Informationen vor. Wenn dem aber so ist: warum nicht eine außerordentliche Synode der Utrechter Union zum Thema einberufen? Wenn die kirchliche Ehe für Alle wirklich das Potential hat, die Utrechter Union zu spalten (wie es anlässlich der Frauenordination mit Blick auf die Polnische Nationalkirche der Fall war), wäre eine solche Synode nach Schweizer Vorbild doch mehr als berechtigt.
Fazit
Das Nein aus Rom zur Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften hat mich ins Nachdenken gebracht über die diesbezügliche Situation in der Alt-Katholischen Kirche. Ich bin froh und dankbar, dass die Partnerschaftssegnung bei uns und in der Utrechter Union eine recht breite Akzeptanz erfährt. Was die Diskussion über die kirchliche Ehe für Alle betrifft, sehe ich in den skizzierten Feldern – Geschlechterfragen, Synodalität und Ökumene – noch Luft nach oben. Auf eine gute und geistreiche Streitkultur!
Dr. Dirk Kranz ist Mitglied der Gemeinde Koblenz und des Teams queer@herzjesu
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