Predigt in Herz Jesu, 3. Juni 2023 – Dreifaltigkeit
Liebe Schwestern und Brüder,
Helena heißt sie nicht, aber ihr richtiger Name tut hier auch nichts zur Sache – sie ist Putzfrau auf einer Station im Brüderkrankenhaus – stammt aus Griechenland, ist seit vielen Jahren hier – und spricht trotzdem nur „gebrochen“ Deutsch.
Ein bisschen schlecht gelaunt fuhrwerkt sie morgens um 7.00 Uhr mit dem Wischmopp über den Boden des Dreibettzimmers. Der mittlere Platz ist nicht belegt, da hat sie freie Bahn. Der ältere Herr in der Nähe der Tür schläft noch und er hat sein Hörgerät nicht an. So kommen Helena und ich ins Gespräch.
„Guten Morgen!“ „Guten Morgen!“ „Na Sie sind ja schon fleißig“. „Ja, ja, schwere Arbeit! Immer Arbeit!“ „Ja, wir müssen immer arbeiten – bis wir im Himmel sind, im Paradies!“ „Ich glaube an das Paradies.“ „Ich auch!“ „Und an Gott!“ „Ich auch!“
„Weißt du, warum wir auf der Erde sind?“ fragt sie mich. Ich überlege und antworte mit einer Gegenfrage: „Was meinst du denn?“ Und sie antwortet ohne zu überlegen: „Wir sind hier auf der Erde um zu lernen. Gott ist der Lehrer. Wir sollen alles so sehen, wie Gott es sieht! Und wenn wir alles gelernt haben, dann werden wir sterben, weil wir alles verstanden haben!“
Wir sind hier auf der Erde, um zu lernen.
Das hat mir gefallen. Wir sind nicht auf der Erde, um gut zu sein, um alles richtig zu machen, um möglichst viele Treuepunkte zu erlangen fürs Ewige Leben – sondern wir sind hier um zu lernen…
„Glaubst du, dass alle Menschen in den Himmel kommen?“ „Nein“, sagt sie sofort. „Nicht alle. Manche Leute nicht. Hitler zum Beispiel.“ „Na, da bin ich mir nicht so sicher! Das würde ja heißen, dass Gott am Schluss versagt hat – dass er es nicht geschafft hat, so einen wie Hitler auf den richtigen Weg zu bringen – ihn zu richten und in die richtige Richtung zu bringen…“ Sie stütze sich auf ihren Wischmopp und sah mich fragend an: „Meinst du wirklich, Hitler ist im Himmel?“
Naja, es ist nicht meine Entscheidung. Das entscheidet Gott. Und was Gott unternimmt, um Hitler und die vielen anderen Despoten auch nach dem Tod auf den richtigen Weg zu bringen, weiß ich nicht… ich finde den Namen „Fegefeuer“ zwar doof – aber was damit gemeint ist, finde ich nicht so schlecht: dass es eine Reinigung gibt – die sehr, sehr schmerzhaft ist – bis wir alle Dinge so sehen, wie sie sind… und welchen Anteil wir daran haben… das tut wahrscheinlich weh – bis tief ins Herz und in die Seele. Und wenn Hitler bewusst wird, was er angerichtet hat – dann muss er vor Scham vergehen….
„Bist du Protestant“ fragte sie? „Nein, ich bin Katholik“. „Die Protestanten glauben nicht an Maria. Sie glauben nicht, dass sie die Theotokos ist, Gottesgebärerin. Sie hat Gottes Sohn geboren.“ „Ja, aber dazu musste sie voll und ganz ein Mensch sein. Nur als Mensch konnte sie Jesus das menschliche Leben schenken. Er ist wahrer Gott UND wahrer Mensch. Deshalb ist es wichtig, dass Maria ein Mensch war.“
Sie dachte weiter nach und wischte die Fensterbank ab. Dann erzählte sie aus ihrem Leben, wie viele Sorgen sie hatte bei der Schwangerschaft mit ihrem ersten Kind, dass sie auf die Insel Tinos gefahren ist, einem griechisch-orthodoxen Marien-Wallfahrtsort und dass sie dort die Muttergottes angefleht hat, sie möge ihr auch die Mutterschaft schenken, so wie sie mit Jesus erlebt hat – und dass sie ihr Kind nach Maria benennen werde und dass sie nach einer glücklichen Geburt sobald wie möglich zurückkomme und sie der Muttergottes von Tinos vorstelle…
Das Gespräch ging weiter und weiter, sie putzte zum wiederholten Mal den Boden und die Rollschränkchen, sie verschwand putzend im Bad, als die Schwester herein kam und mir die Antibiose anlegte. Inzwischen hatte ich ihr gesagt, dass ich Priester bin. Das freute sie ganz besonders – auch wenn ich nur ein ungläubiger Katholik bin.
Sie erzählte von ihren Erfahrungen mit den Patient*innen auf der Station. Dass manche ihr Schicksal selbst schuld sind – das machte sie ihnen dann auch unmissverständlich klar… zum Beispiel, wenn zuviel Alkohol im Spiel ist. Sie erzählte aber auch von großem Leid, dass sie ungerecht empfand und über dass sie mit Gott sprach. Und wenn es dann so gar nicht weitergehe im Gespräch mit Gott, dann sagte sie zum Schluss immer: „Du musst es wissen Gott, ich habe eben noch nicht alles gelernt… Ich muss noch ein bisschen auf der Erde bleiben um zu lernen…“
Irgendwann zog sie dann doch weiter ins nächste Zimmer. Ich blieb angerührt und voll von Respekt zurück. Was für eine gläubige und mutige Frau. Sie erzählt von ihrem Glauben, von dem Reim, den sie sich auf das Leben macht, von ihren Gesprächen und Gebeten… und geniert sich nicht, das – in gebrochenem Deutsch – einem katholischen Priester zu erzählen.
„Gott hat die Welt so sehr geliebt,
dass er seinen einzigen Sohn hingab,
damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen,
sondern das ewige Leben haben.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt,
damit er die Welt richtet,
sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.“
Helena steht fest auf dem Grund der östlichen Theologie, die in Christus vor allem den MEDICUS, den Heiler sieht. Der Westen hat – in der römischen Tradition – Christus vor allem als JUDEX, als Richter gesehen.
Christus heilt – davon ist Helena fest überzeugt. Außer den Moslems. Mit denen spricht sie nicht. Aber das ist nochmal ein anderes Thema.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich habe immer gedacht: das Fest der Heiligsten Dreifaltigkeit ist nur ein Fest für die Theologie-Begeisterten, für alle die Spass an der Gedankenakrobatik haben, wie wir denn „die Sonderheit in den Personen, die Einheit im Wesen und gleiche Fülle in der Herrlichkeit“ anbeten, wie es in der offiziellen Präfation zum heutigen Festtag heißt. Oder für alle, die ihr Bekenntnis vor sich hertragen wie eine Parole.
Helena zeigt mir, dass ihr Glaube alltagstauglich ist und dass sie sich zutraut – auch in gebrochenem Deutsch – über ihren Glauben zu reden.
Das erlebe ich nicht so oft, nicht im Dienstgespräch, im Verwaltungsrat, auch nicht im Pfarrgemeinderat, noch nicht mal im sredna_team. Auch sonst im seelsorglichen Alltag eher selten.
Wann und wo und wie der dreieine Gott ins Wort kommt, ins Fleisch, ist immer wieder überraschend und geheimnisvoll.
Zum Beispiel beim Putzen frühmorgens im Brüderkrankenhaus.