UM GOTTES WILLEN. Gedanken zum 14. Sonntag im Jahreskreis A, 8. Juli 2023

Predigt zu Mt 11,25-30
„Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid…“

Liebe Schwestern und Brüder,

um 5 Uhr heute morgen – hatte ich ausgeschlafen. Nach einer unruhigen Nacht – ich glaube, viele von Ihnen kennen das. Klar war: nochmal umdrehen nützt nichts, ein Kaffee weckt mich erst recht… Appetit hatte ich noch keinen – also aufs Sofa ins Wohnzimmer – mal schauen, was das Fernsehen morgens zu bieten hat.

Tierfilme – oder ZDF-History über ungelöste Kriminalfälle und Justizirrtümer. Dann – auf ONE – gottseidank: Um Himmels willen! Ein bisschen Kirchenromantik am frühen Morgen: Die zupackende und weltgewandte Schwester Hanna im Kloster Kaltental, die wundergläubige und etwas abwesende Agnes, Schwester Felicitas, die nicht richtig hört, aber ihre Beratungsstelle ganz erfolgreich führt – hin und wieder unterstützt durch ein Klosterschnäpschen, die erfinderische Schwester Gina,  Bürgermeister Wöller, der hinter dem Kloster her ist und dabei vor Betrug und Lüge nicht zurückschreckt – die Ehrwürdige Mutter Frau Dr. Dr. Reuter, die den Orden managet – und Bischof Rossbauer, der anscheinend nichts anderes zu tun hat, als zu versuchen, Frau Dr. Dr. Reuter zu managen…

Zwei Folgen habe ich mir angeschaut – und es ging mir gleich besser: morgens um 6 Uhr ist die katholische Welt noch in Ordnung! Jedenfalls in Kaltental. Bilder aus einer vergangenen katholischen Welt, die es so nie gegeben hat…

Szenenwechsel zurück in die garstige Realität.
Horrornachricht Anfang der Woche: 522.821 Menschen haben im Jahr 2022 die katholische Kirche in Deutschland verlassen, weit über eine halbe Million. 218 in unserer Pfarrei St. Matthias. Das heißt: eine prall gefüllte St. Valerius-Kirche am Heiligen Abend hat die Pfarrei St. Matthias und der katholischen Kirche den Rücken gekehrt. Wahrscheinlich für immer.

Nein, die katholische Welt ist nicht mehr in Ordnung. Zum ersten Mal zieht die Ausrede, dass die katholische und die evangelische Kirche in einem Boot sitzen: 200.000 Katholik*nnen mehr als Protestant*innen. Es gibt offensichtlich ganz eigene, hausgemachte katholische Probleme.

Ich will das jetzt nicht professionell analysieren. Für viele passt unser vormodernes Menschenbild und undemokratisches Kirchenverständnis nicht mehr in unsere Welt. Mir geht es auch so. Dabei fühlen ich mich nicht weniger „katholisch“ als „die Bewahrer*innen“: Wir lesen die Geschichte unserer Kirche und unseres Glaubens ganz anders: unser Glaube schreit nach Veränderung  – wenn wir dem Anfang in Jesus Christus und dem Heiligen Geist treu bleiben wollen.

Papst Franziskus hüllt sich in Schweigen, kritisiert den Synodalen Weg, lässt seine Glaubenskongregation laut bellen, wirbt für das Zuhören, trifft sich selbst aber NICHT mit dem Vorstand des Synodalen Wegs.

4 deutsche Bischöfe ziehen sich aus dem Erneuerungsprozess „Synodaler Weg“ zurück, weil „Vati“ also der Vatikan, es verboten hat… Sie drehen den Geldhahn zu – von einem Geld, das ihnen gar nicht gehört, und das sie gar nicht einfach so ausgeben können, wie sie wollen: es gibt in allen Diözesen verpflichtend einen Kirchensteuerrat – will die Kirche eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts bleiben.

Nein, ich kann nicht gegen den Kirchenaustritt argumentieren. Es gibt so viele Gründe, die ich nachvollziehen kann. Sexueller und geistlicher Missbrauch, seine Vertuschung, mangelnde Aufmerksamkeit und Entschädigung der „Überlebenden“ sind seit 13 Jahren Dauerthema. Dazu erleben viele eine Kirche, die immer noch auf dem hohen Ross sitzt – und glaubt, sie könnte sich an grundsätzlichen Veränderungen vorbeimogeln.

Wie kann ich, wie sollen wir auf die „roten Karten“ von über einer halben Million Katholik*innen in Deutschland, davon 218 in unserer Pfarrei St. Matthias, reagieren?

Diese Frage treibt mich schon lange um. Ich habe sie immer und immer wieder auch mit Kolleg*innen besprochen, gerade noch gestern Morgen – mit einer sehr guten Kollegin aus der Klinikseelsorge, mit unserem Pastoralteam am letzten Montag.

Wir haben eigentlich nur eine Chance: Kaltental.

Die Schwestern-Schauspielerinnen der TV-Serie machen vor, wie Christsein geht: an der Seite von Menschen in Not – in welcher Not auch immer. Anpackend, aushaltend, zuhörend, schweigend – auf der behutsamen Suche nach Auswegen aus dem Bestehenden, vorsichtig einen Schritt in die Zukunft zu tun, ins Neuland – das nicht unbedingt schöner und besser ist, zumindest aber ehrlicher. Den Alltag bestehen – dem Bösen widerstehen. Und das alles mit einer Portion Leidenschaft, Demut und Humor – und der Zuversicht, dass es am Ende irgendwie gelingt – mit dem Leben.

Mir wird immer mehr bewusst, dass sich die Zukunft unseres Glaubens in einzelnen Begegnungen entscheidet – die das Leben von Menschen verändern, in denen der Mut wächst, sich vorsichtig aufs Neuland zu wagen – mit der Hilfe Gottes.

„Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das den Kleinen und Armen offenbart hast…. Kommt alle zu mir, die ihr mühselig seid und beladen. Ich will Euch erquicken. Ihr werdet Ruhe finden für Eure Seele.“ So haben wir es im Evangelium gehört. Seelsorge also.

Die Zukunft des Glaubens entscheidet sich nicht daran, welche kirchlichen Gebäude wir halten und welche wir aufgeben. Die Zukunft entscheidet sich nicht darin, wie viele Entwicklungsprogramme und neue Methoden wir anwenden, noch nicht mal, welche Lieder wir singen.
Die Zukunft des Glaubens entscheidet sich daran, ob Menschen den Glauben an den Gott Jesu Christi als lebensförderlich erfahren – in Menschen, die für diesen Glauben stehen und die ihm ihre Namen und Gesichter geben.

Liebe Schwestern und Brüder,

Sie können sich vielleicht vorstellen, dass auch meine persönliche Lebens- und Glaubenswelt seit dem 2. Januar dieses Jahres auf den Kopf gestellt wurde – mein Verständnis von Seelsorge und von dem, was ein Pfarrer zu tun hat. 

Bei meinen Aufenthalten im Krankenhaus als Patient werde ich in so viele Gespräche und Geschichten hinein gezogen – von Mitpatient*innen und ihren Angehörigen, von Pflegenden und Reinigungskräften. Die Leute können sehr wohl unterscheiden, was eine PERSON ist und was die INSTITUTION. Sie geben mir als PERSON eine Chance. Ihr Vertrauen.

Heute morgen habe ich – nach „Kaltental“ – einen Text von Klaus Scheunig gelesen. Er ist Klinikseelsorger im Städtischen Krankenhaus Pirmasens. Sein Gedicht spricht mir aus der Seele – und aus meinen Erfahrungen der letzten Monate…

Er schreibt:  

Dir wird das ganze Leben
ausgeschüttet.
Was für ein Vertrauen!
Denke ich.
Wir kennen uns nicht.
„Seelsorger“
steht auf meinem Namensschild.
Besser kann es nicht gesagt werden.
Und was für ein Beruf doch!?
Du hörst zu.
Sagst wenig.
Nur, was Du hörst.
Spürst.
Dem gibst Du Raum.
Den Bildern.
Den Träumen.
Dem Glanz der Augen.
Zaghaft.
Tastend.
Nie, ohne Erlaubnis.
Bescheiden.
Du denkst und staunst.
Wieviel Kräfte im gegenüber.
Und wie viele Wunden doch.
Du bestärkst.
Hältst aus.
Lässt es zu.
Vermeidest hohle Phrasen.
Von Gott.
Dem Geheimnis.
Verborgen nah.
Im mir Anvertrauten.
Nur zu ahnen doch.
Wo sonst!
Du segnest nur.
Wenn gewünscht.
Frei. Ohne Buch.
Oft unter Tränen.
Daheim noch.
Du kommst wieder.
Mit Erlaubnis nur.
Vertrauen.
Seelsorge.
Zwischen Apparaten.
Diagnosen.
Tabellen.
Bescheidener Teil.
Von Heilung.
Wie gut.
Denn da sind viele Andere noch.
Im Haus.
Für alle da.
Rund um die Uhr.
Professionell.
Dann noch wenn Du gehst.
Treu.
Immer.
(Klaus Scheunig, 07.07.2023)

 Jetzt denken Sie vielleicht:
Oje, das ist mir zu hoch – nix für mich. Ich habe nicht studiert, keine Theologie, keine Psychologie. Müssen Sie auch nicht.
Menschenliebe und Gottesliebe reichen – um von Ihrem Glauben zu erzählen, ihm Ihr Gesicht zu geben.
Und wenn Ihnen mal die Ideen ausgehen: ein paar Folgen Kaltental reichen, da können Sie sich das ein oder andere abgucken – zumindest das mit dem Gottvertrauen, oder einem Klostergeist – zur rechten Zeit! Amen.

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