Der 18. Juli 1987 war ein besonderer Tag für viele Menschen in meiner Familie, in meinen Freundschaftskreisen, für meinen Heimatdorf Bandorf, in meiner Heimatpfarrei St. Laurentius, in Koblenz-Neuendorf und -Wallersheim, wo ich ein Jahr als Diakon gewesen bin.
Und es war ein besonderer Tag für mich selbst. Ich habe zum zweiten Mal mein „Here I am Lord“ gesprochen – nach dem 6. Februar 1986, damals für den Dienst als Diakon, diesmal für den Dienst als Priester. Die Weihe durch den Bischof wurde vollendet durch die erste Eucharistiefeier mit einer großen bunten Gemeinde in St. Laurentius in Oberwinter und den Segen durch viele Menschen am Nachmittag – eine Woche später.
Anfang des Jahres hat mich eine Ordensschwester aufgefordert, mein „Here I am Lord“ zu dem neuen ganz anderen Lebensabschnitt zu sagen, der am 4. Januar 2023 mit einer ersten großen Operation angefangen hat. Es ist bisher ein sehr leibliches, körperliches und gleichzeitig ein sehr geistliches Jahr. Ich mache völlig neue herausfordernde Erfahrungen mit meinem Leib, dem „verwundeten Bruder“ – im Licht des Leibes Christi, dessen Fragment (Bruch-Teil) ich bin – und der in seiner Gebrochenheit unsere Heilung ist und unsere Zukunft, der Horizont unserer Verwandlung. Hildegund Keuls kleines Buch „Verwundbar sein – Vulnerabilität und die Kostbarkeit des Lebens“ hatte mich Ende 2022 auf die Spur gebracht.
Das konnten wir in diesem Jahr am Herz-Jesu-Fest in einer Weise feiern, die die zaghaften Anfänge der Primiz am 26. 07. 1987 zur Vollendung geführt hat: Beteiligung des Volkes Gottes, andere Worte und neue Töne, Kommunion unter beiden Gestalten für alle in unserer Form seit Corona, Mitwirkung von Frauen – bei der Primiz damals war es sogar die Predigt (ist verjährt :-)), ein wirkliches leibliches Fest.
Am 18. Juli bin ich dann – etwas aufgeregt – auf den Speicher des Pfarrhaus gestiegen und habe ihn ausgepackt: den Primizanzug von 1987. In blau. Mit Weste und Krawatte. Das Blumensträußchen gibts leider nicht mehr. Meine Mutter hatte dazu noch die Geschichte, dass ich gar keinen Anzug wollte, und erst in letzter Minute den Widerstand aufgegeben habe…
Über viele Jahrzehnte passte von diesem Outfit nur noch die Krawatte. Ob ich im Juli 2023 nach den vielen unbeabsichtigt verlorenen Kilos wieder hinein passen würde? Ja – allerdings nur knapp – und in die Weste gar nicht… ich war froh über beides: über das JA und über das FAST.
Den Tag habe ich dann mit dem Dienstgespräch in St. Matthias begonnen – und 3 weiteren Gesprächen im Pfarrhaus. Dann haben wir uns in einer bewegenden zweisprachigen Messe von einem Mitglied der Gehörlosengemeinde, Josef Berg, in Salmtal verabschiedet – ein echter Trost für alle Trauernden aus „den beiden Welten“, wie mir einige im Anschluss sagten und schrieben. Es tut gut, wenn das gelingt: Trauer und Dank, Ratlosigkeit und Hoffnung so ins Wort zu bringen, dass Menschen berührt sind – und das Leben erahnen, dass der Glaube Jesu anbietet.
Abends gab es eine schön fettige Canard a l’orange – und zum Tagesausklang Rosmarin-Chips mit Ketchup (Chirurgische Klinik Heidelberg im Entlassbrief in Großbuchstaben: ESSEN SIE RUHIG ALLES, WAS SIE VERTRAGEN! Ich hab’s vertragen.
In den letzten Tagen haben mir einige Freund*innen gesagt, dass mein Umgangston „aggressiver“ (oder „aggro“) geworden sei. Ich glaube ich weiß, was sie meinen. Ich verstehe es so: klarer, zielstrebiger, nicht mehr bereit, viele Umwege zu gehen. Das kann sein. Ich muss in den Teams und Gremien wissen, woran wir sind, wohin wir wollen und auf wen ich setzen kann. Ich glaube, ich kann besser damit umgehen, Ziele aufzugeben – aber dann auch endgültig. Es hat vielleicht mit der Einsicht zu tun, dass mein Leben endlich ist….
Andererseits erlebe ich mich selbst im Persönlichen sanfter, vorsichtiger, vor allem dankbar. Umso lieber teile ich als Kontrapunkt das entspanntere Bild – mit den Klamotten von damals – und dem Hut und dem Gesicht von heute. „Here I am Lord!“ Danke fürs Mitgehen!
Nö, lieber Ralf, aggressiver finde ich Deinen Ton nicht.
Mir scheinen Deine Gedanken in Predigt (oder wenn ich in den anderen Medien von Dir höre und lese) eher an Tiefe gewonnen zu haben.
Das freut mich sehr.
„Mensch, werde wesentlich!…“ habe ich von meiner Mama immer wieder gehört – keine Ahnung, woher das Zitat stammt. Aber so empfinde ich Dich.