Engelbert berät zu HIV-Therapie seit 20 Jahren, besucht regelmäßig die wichtigen HIV-Kongresse und ist Mitglied vom Deutschen Expertennetzwerk HIV/Hepatitis e.V. und Vorstand bei Projekt Information e.V. und Mitglied in der Kerngruppe der Münchner Positiven. Engelbert ist seit 34 Jahren HIV-positiv und nimmt seit 24 Jahren HIV-Therapien.
Was für Parallelen gibt es aus deiner Sicht zwischen COVID-19 und HIV/AIDS?
Erstmal sind beides RNA-Viren, die menschliche Zellen zur Vermehrung benötigen. Leider ähneln sich die Reaktionen wie Panik/Hysterie sehr. Bei HIV hat sich dies ja mittlerweile gebessert, die Infektionsgefahr wird besser wahrgenommen. (Obwohl es hier oft noch Ausreisser gibt).
Bei SARS-CoV-2 wird es noch ein weiter Weg sein, die Infektiösität richtig einzuschätzen. Mich erinnert die Diskussion z.B. Infektion über Oberflächen oder Aerosole (kleinere Teilchen in der Atemluft) sehr an die Diskussion, ob HIV-Bruchstücke im Sperma nicht doch infektiös sind. Hier hat sich herausgestellt, es finden so keine Übertragungen statt. Bisher konnte von Virusmaterial an Oberflächen, kein vermehrungsfähiges Virus angezüchtet werden.
Können unsere HIV-Medikamente bei der Behandlung von COVID-19/ SARS-CoV-2 (Corona-Virus ) helfen? Wie schätzt du die Lage ein?
Es gibt ein paar Medikamente, die im Moment untersucht werden, ob sie bei COVID-19 helfen. Unter anderen ist auch das uns wohlbekannte HIV-Medikament Kaletra (Lopinavir/Norvir) mit dabei. Bisherige Untersuchungen geben wenig Anlass zur Annahme, dass es eine Verbesserung erzielt. HIV-Medikamente, die zur PrEP eingesetzt werden, haben keinerlei Wirkung gegen COVID-19.
Hat die Grundlagenforschung zu HIV auch einen wichtigen Beitrag geleistet, um ein medizinisches Verständnis in der aktuellen Situation zu erlangen?
Die Grundlagenforschung zu HIV hatte den PCR-Test zur Folge, mit dem HIV direkt nachgewiesen wird – unsere Viruslast sozusagen. PCR (Polymerase-Chain-Reaction) ist bisher die wichtigste Testmethode bei SARS-CoV-2.
In den 80-er-Jahren wollte die Politik die HIV-Infizierten und Aids-Kranken in Lager stecken. Was ist heute anders?
Ja leider sehe ich hier Ähnlichkeiten, damals waren es die HIV-Positiven und heute sind es die sogenannten Hochrisikogruppen (Alte, Vorerkrankte, Raucher). Die Lager sind heute „kleiner“: die eigene Wohnung oder ein Wohnheim.
Gehören denn HIV-Positive Menschen auch zur Risikogruppe?
HIV-Positive, die unter erfolgreicher Therapie sind, haben kein erhöhtes Risiko gegenüber HIV-Negativen. Allerdings gehören ältere Menschen mit Vorerkrankungen (Herz-Kreislauf, Lunge, Diabetes) ab 60 zur Risikogruppe für SARS-CoV-2.
Hat die Gesellschaft aus HIV und dem Umgang damit etwas gelernt?
Im Moment fällt es mir schwer, einen Lerneffekt zu sehen. Hoffe doch, dass sich dies im Laufe der Zeit verbessert, wenn sich die jetzige Dramatik abgeschwächt hat.
Was denkst du, wie wird sich die aktuelle Situation rund um COVID-19 entwickeln?
Heute am Ostermontag zeichnet sich erfreulicherweise in fast allen europäischen Ländern eine Verbesserung ab, die Infektionszahlen flachen sich ab und die Situation auf den Intensivstationen entspannt sich. Lockerungen der Ausgangssperren sind schrittweise in Planung.
Ich glaube in Zukunft muss man sich auf den Hauptübertragungsweg konzentrieren: Husten und Niesen (Tröpfcheninfektion). Das bedeutet keine Nähe zu Personen, welche nicht gesichert negativ sind oder welche schon Immunität aufgebaut haben. Hier gilt weiter Abstand und Hygiene!
Ich sehe die diskutierte „Herdenimmunität“ sehr kritisch, da die Krankheit COVID-19 sehr wahrscheinlich auch im Hinblick auf Folgeschäden (Lunge, Herz, Nervensystem) recht schwerwiegend sein kann.
Allerdings sind die Menschen fein raus, die Immunität haben. Ich hoffe, wir bekommen diese alle recht bald durch eine Impfung (dauert sicher noch Monate).
In der Zwischenzeit wird es wahrscheinlich irgendeine Behandlung geben durch die Medikamente, die geprüft werden.
Danke Engelbert!