Begrüßung
Die ersten Worte für heute Abend habe ich mir bei Christina Brudereck geliehen, einer Kölner Theologin und Dichterin.
Sie schreibt in ihrem schönen Buch „Weltjahresbestzeit“ unter der Überschrift „Womöglich heute“:
Womöglich heute…
Angst überwinden.
Die Freude begrüßen.
Und innig umarmen.
Ein Kind bestaunen.
Dem Engel vertrauen.
Und dem Licht.
Frieden stiften.
Und davon singen.
Womöglich heute.
Und ich möchte ergänzen.
Und morgen. Immer. Wenn möglich.
Predigt
Zum Nachhören:
Zum Nachlesen:
Liebe Schwestern und Brüder,
in aller Herrgottsfrühe war ich vorgestern morgen in der Brotstube Albertsmühle auf der Saarstraße. Ich bin lange achtlos an ihr vorbeigegangen und gefahren. Sie ist halt nicht modern, nicht grell und hell beleuchtet, sie macht nicht auf sich aufmerksam… Vor ein paar Wochen traf ich dort einen guten Bekannten – der hat sie sehr empfohlen – wegen des Brotes und des Personals und so gehe ich jetzt auch schon mal dorthin.
Vorgestern um halb acht, war die Brotstube wieder nur spärlich beleuchtet, so dass ich mir nicht sicher war, ob sie überhaupt geöffnet ist. Wir waren nur zu viert – diee Verkäuferin hinter der Theke, zwei Kunden davor – der erste, mit einem Hund, er war schon im Begriff zu gehen. Und ich. Später kamen noch jemand und setzte sich auf die Band an der Wand. Der sagte nichts. Ganz zum Schluss kam auch noch eine Schwester aus dem Schönstatt-Zentrum.
Es gibt immer was zu erzählen und zu reden, auch schon früh am Morgen.Vorgestern ging es natürlich um den Jahreswechsel und die guten Wünsche dazu.
Als erstes wünschte die Verkäuferin einen „Gudde Rutsch“. Der Klassiker. Kaum jemand weiß, dass der Rutsch nicht von „rutschen“ kommt – was ja eigentlich auch gar keinen Sinn macht – sondern vom Hebräischen „Rosch“ – und das heißt „Anfang“: Der „gute Rutsch“ ist der Gute Anfang des Neues Jahres. Ich habe das aber nicht gesagt, weil ich nicht schon am frühen Morgen als „neunmalklug“ auffallen wollte.
Mit Nummer zwei hatte ich auch gerechnet: „Vor allem Gesundheit.“ So sagte es auch die Brotfrau hinter der Theke, die dann erstmal kräftig zu husten anfing.
Vor allem Gesundheit.
Ob sie wirklich das Wichtigste ist für das Neue Jahr: die Gesundheit? Was ist denn „Gesundheit“ überhaupt? Die Weltgesundheitsorganisation sagt, dass Gesundheit völliges körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden ist“.
Wer ist nach dieser Definition denn schon gesund? Wer hat nicht irgendwelche kleine Wehwehchen bis hin zu ernsten gesundheitlichen, psychischen und sozialen Problemen?
Klar, jeder Mensch möchte gesund sein: keine größeren Krankheiten und Schmerzen haben, beweglich sein, klar denken können, ein selbstbestimmtes Leben führen – und Menschen um sich haben, mit denen und für die es sich zu leben lohnt. Und das notwendige Kleingeld wäre auch nicht schlecht.
Jeder von uns weiß aber auch, dass das Leben endlich ist – und dass am Ende nicht die Gesundheit steht, sondern der Tod, wann und wie auch immer. Diejenigen, die den Mut haben auf dem Domfreihof stehend zur Domuhr aufzublicken, werden jedes Mal daran erinnert: „Ihr wisst nicht die Stunde, wann der Herr kommt!“
Und die Uhr auf dem Turm von Gangolf sagt, wie wir uns angesichts dieser sicheren Aussichten sinnvoll verhalten können: „Wachet und betet!“ Und das nicht nur in der Adventszeit vor Weihnachten. Unser ganzes Leben ist Advent: das Zugehen auf die Wiederkunft des Herrn, am Ende der Welt und am Ende unseres persönlichen Lebens.
Was könnten wir uns – auf diesem Hintergrund – zum Neuen Jahr wünschen?
In der Backstube gestern morgen sagte ich zu der Verkäuferin: „Ach, ich weiß nicht, ob Gesundheit das Wichtigste ist. Ich wünsche mir Geduld, vor allem dann, wenn es mit der Gesundheit mal nicht so richtig klappt. „Da haben Sie recht“, sagte die Brotfrau, während sie mein Brot einpackte.
„Und Dankbarkeit. Es gibt so viele gute Menschen um mich herum, es passiert so viel Schönes, was ich schnell übersehe… Wir haben uns angewöhnt, nur das zu sehen, was daneben geht. „Stimmt“, sagte sie und packte den Neujahrskranz ein.
„Ja, und Humor – dass wir mal lachen können, vor allem über uns selbst!“ „Genau!“ sagte die Verkäuferin und musste vor Lachen dann selbst wieder husten….
Auf dem Nachhausweg ist mir noch ein einiges eingefallen, was ich mir und anderen wünschen würde für das Neue Jahr.
Ich wünsche mir die Freude am Augenblick, am Hier und Jetzt. Zu oft denke ich, dass Leben findet erst in der Zukunft statt – ich bin dann voller Sorgen oder voller Erwartungen. Oder es hat in der Vergangenheit stattgefunden und ich kann nur noch dem nachzutrauern, was nicht mehr ist. Nein, Hier und Jetzt ist das Leben!
Ich wünsche mir Widerstandskraft, mich nicht so schnell unterkriegen zu lassen von widrigen Umständen und Menschen. Resilienz heißt das moderne Zauberwort. Meine Mutter hat davon eine riesige Portion.
Ich wünsche mir die Offenheit, an Wunder zu glauben, was für mich als „rational“ denkenden Menschen nicht so einfach ist. Oder zumindest die Kraft des Hoffens – dass die Dinge anders kommen können, als ich es erwarte.
Ich wünsche mir auch die Kraft, von mir selbst abzusehen und andere wahrzunehmen – in ihrem Leben, ihrem Leiden, ihrer Freude und ihren Hoffnungen… die Kraft des Mitfühlens. Mitleid eher nicht. Das macht andere klein.
Ich wünsche mir auch Tapferkeit und Gelassenheit, die Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann.
Als ich gerade dabei war, mein Brot in den Rucksack zu packen, kam die Schönstattschwester in die Brotstube. Ich kenne sie nicht persönlich. „Schwester, wir haben es gerade von den Guten Wünschen zum Neuen Jahr – und dass Gesundheit nicht das Wichtigste ist! Was würden Sie denn sagen? Wahrscheinlich das Gottvertrauen!“ sagte ich.
„Ja, ja, das Gottvertrauen“ antwortete sie etwas abwesend – vielleicht hatte sie ihren Einkaufszettel vergessen und musste sich jetzt auf ihren Broteinkauf für die Feiertage konzentrieren.
Gottvertrauen – das halte ich schon für einen ziemlich wichtigen Wunsch.
Also: Was wünsche ich mir selbst für das Neue Jahr?
Geduld, Dankbarkeit, Humor, Freude am Augenblick, Widerstandskraft, Hoffnung, Mitfühlen, Tapferkeit und Gelassenheit – und Gottvertrauen!
Vielleicht sind das meine persönlichen, spontanen Übersetzungen für das, was Segen bedeutet. Den Segen der Wüste haben wir eben in der Lesung gehört – aus der Lesung im Buch Numeri.
Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
So sagt es der HERR dem Mose, der es Aaron und seinen Söhnen sagen soll. Und so empfangen auch wir – die Kinder des zweiten Gottesvolkes – diesen Segen bis auf den heutigen Tag.
(Da steht auch übrigens auch nichts von Gesundheit.)
Ihr Lieben,
heute Abend wünsche ich Ihnen und Euch Gottes Segen für das Neue Jahr – dass Ihr von Gottes Liebe und Güte umfangen seid – und dass Ihr die Tapferkeit entwickelt, die Wege zu gehen, auf die Gott Euch führt. Das wünsche ich mir auch!
Und den Frieden – und dass immer genug Brot im Haus ist – und Wein und Salz. Ja, und natürlich auch – zur Sicherheit – die notwendigen Medikamente. Für die Gesundheit. Amen.