Eine zweite Zeitreise an den Rhein, in kurzer Zeit…
diesmal nicht nach Oberwinter, sondern in mein Heimatdorf Bandorf – und nicht aus dem frohen Anlass, wie zu FRONLEICHNAM, sondern aus einem traurigen Anlass.
Sie war meine „Sandkastenfreundin“, auch wenn wir gar keinen Sandkasten hatten: gut 2 Wochen älter als ich, evangelisch, gern in Lederhosen, von uns beiden eher „der Junge“… Ich weiß, so was sagt man heute nicht mehr….
Ich habe nur wenige Fotos aus Kindertagen – damals gab es für meine Eltern Wichtigeres zu tun als Fotos zu machen… mein „Doku-Zwang“ hat sich erst später entwickelt.
Von den wenigen Fotos gibt es aber einige mit Karin Neßlauer-Pöpping – und ich kann mich an jedes Einzelne erinnern: im Pool, auf unserem Balkon, auf ihrem Geburtstag mit anderen Jungs aus dem Dorf. Später von der Goldenen Hochzeit meiner Eltern.
Karin und ich waren DAS perfekte Pärchen, hätten es zumindest sein können… haben wohl viele auch gemeint….
Ende der 60er Jahre war man am Rhein auch in den kleinen Dörfern schon ganz tolerant und zum Beispiel recht unbekleidet gemischtgeschlechtlich im Pool… Auch ein evangelisches Mädchen durfte zur Kommunion eingeladen werden, aber erst montags, weil sonntags ja die Verwandtschaft kam.
Die Toleranz hörte aber auf, als ich mit Karin sonntags um 10 in die Evangelische Kirche gehen wollte – statt zum Katholischen Hochamt, das dummerweise auch um 10 Uhr begann. Das Problem: die Leute könnten mich ja sehen und meine Eltern zur Rede stellen … also musste ich dann „als Ersatz“ wenigstens in die katholische Vorabendmesse …
Karin im Kleid. Ab und zu musste es wohl sein, dachten ihre Eltern. Aber sie fühlte sich in der Lederhose immer wohler, wie man auf ihrem Geburtstagsbild sehen kann… Der 5. Junge… ich weiß, so was sagt man heute nicht mehr.
Karin war immer unkonventionell – und konnte aus allem was machen… Wenn ich mich richtig erinnere, hatten ihre Eltern eine kurze Zeit die Dorfkneipe „Im Wiesengrund“. Tagsüber, wenn da nichts los war, haben wir unter einem Kneipentisch gesessen, hatten Schals über den Kopf und waren Indianer in einem Wigwam. Aus der Musicbox tönte dazu Freddy Quinn – „100 Mann und ein Befehl“ (1966), das nächste Musikstück zur indianischen Phantasiekultur, was die Muxicbox hergab.
Später haben wir Hörspiele aufgenommen – ich war für die Texte verantwortlich, Karin für die Technik und die Tonimitationen „Kämpfe um den Weißen Stern von Arizona“. Ich meine, der Weiße Stern war ein Pferd….
Später trennten sich unsere Wege, andere Schulen, neue Freunde, die Pfarrjugend in Oberwinter… 1978 ging ich zu Studium nach Trier. Danach sahen wir uns nur noch selten, beim Wiesenfest oder mal bei einem anderen Anlass im Dorf. Aber ich konnte mir sicher sein: Irgendwann stürmte sie von hinten ran, es gab eine Umarmung und ein paar feuchte Küsse und ein Update über das, was sich in ihrem Leben und im Dorf ereignet hatte. Als ich im Ferienjob bei den „Ringsdorff Werken Mehlem“ war, sahen wir uns nochmal öfter – Karin arbeitete dort eine Zeitlang.
Viele Jahre später wohnte ich als Vikar und Jugendpfarrer in Neuwied, da passierte etwas Schlimmes – was ich bis heute mir nicht erklären kann und zutiefst bereue. Karin war im Krankenhaus in Neuwied und hatte mir eine Nachricht geschickt, dass sie sich über einen Besuch freuen würde. Ich war nicht da. Ich habe nicht reagiert, obwohl das Krankenhaus nur wenige hundert Meter entfernt war. Das hat sie mir sehr übel genommen. Bei einem Besuch zum Wiesenfest, bei dem ich die Messe gehalten habe, hat sie mich zur Rede gestellt – und mir ihre Enttäuschung vor etlichen Leuten ins Gesicht gesagt. Sie hatte völlig recht – und ich konnte nur zuhören – und mich schämen und um Verzeihung bitten.
Sie hat mir verziehen – und spätestens bei der Goldenen Hochzeit meiner Eltern begegnete sie mir mir der gleichen überschwänglichen herben Herzlichkeit, die sie freigiebig über viele Menschen ausgeschüttet hat. Damals schipperte sie meine Eltern in einer imaginären venezianischen Gondel durch das Dorfgemeinschaftshaus. Nach meinem Vater und meiner Mutter bekam auch ich zum Schluss einen Kuss.
Lange haben wir uns nicht mehr gesehen. Immer wieder erfuhr ich von gesundheitlichen Herausforderungen. Aber die Besuche in Bandorf sind nicht so häufig und wenn immer nur für ein paar Stunden. Persönlich habe ich Karin schon lange nicht mehr gesehen.
Trotzdem: ihr Tod ruft Erinnerungen wach – Erinnerungen aus einer früheren Welt. Die wenigen gemeinsamen Puzzlestücke erzählen von ihrem turbulenten Leben. Karin war eine Kämpferin – bis zum Schluss. Sie hat gekämpft, Rückschläge eingesteckt – und ist wieder aufgestanden. Im Kämpfen und Aufstehen ist sie mir ein Vorbild, wie gesagt… sie war eher „der Junge“…
Sie hat mit ihrem Mann unzählige Menschen und Gruppen auf Reisen begleitet und sicher und gut gelaunt an ihre Reiseziele geführt. In der Nacht vom 19. auf den 20. Juni ist sie gestorben. Jetzt hat ein anderer – hoffentlich sanft – die Reiseleitung übernommen und sie an ihr letztes Ziel geführt – die Oma und der Opa Hütter werden sie erwarten, ihre Eltern, der Röb und die Rosel… und viele andere aus ihren Lebenskreisen.
Allen, die um sie trauern und die für sie danken, allen voran ihr lieber Mann Manfred Neßlauer und ihr Bruder Robert mit Familie – wünsche ich diese Hoffnung und diesen Trost, dass wir uns am Ende unserer Reise wiedersehen – und ausgelassen feiern und das Leben genießen – beim Festmahl des Himmel, am Tisch Gottes – mit Karin, die singt.