Am 05.03.2020 schloss einer meiner Lieblingsclubs in Berlin; alle anderen folgten.
Als queer verheirateter Mann mit 2 Pflegekindern war schnell klar, dass eine schwierige Zeit auf uns zukommt. Vor allem für die Kinder war es klar, dass klare Strukturen wichtig sein werden; es zeichnete sich ja sofort ab, dass es sich nicht um ein paar Tage handeln wird.
Also starteten wir mit homeschooling… meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Mein Mann wurde kurz darauf auf Kurzarbeit Null gesetzt. Die Osterferien, die ich eigentlich für mich zur Erholung geplant hatte (Kinder auf Ferienreise, mein Mann ein paar Tage unterwegs und ich endlich mal ein paar Tage allein zuhause), waren nun doppelt anstrengend. Rund um die Uhr für die Familie da sein. Keine Möglichkeit, sich mal ne Auszeit zu nehmen. Keine sexuellen Erfüllungen (Sex mit meinem Mann gibt es schon seit vielen Jahren nicht mehr oder nur ganz selten).
Und obendrein kam noch meine völlige Verwirrung über das Verhalten ´meiner´Kirche´. Von klein an in die katholische Kirche hineingewachsen, mit aller Kritik doch immer in ihr beheimatet. Beide Pflegekinder ganz selbstverständlich taufen lassen und im Glauben erzogen. Und jetzt duckt meine Kirche sich weg. In der Zeit der Krise hat sie den Gläubigen nichts zu bieten, als merkwürdige online Gottesdienste, in der die Geistlichen sich als Priester und Gemeinde zugleich darstellen. Und den Gläubigen empfehlen sie eine geistige Teilhabe!
Ich habe die Zeit genutzt, um mich als Christ zu emanzipieren. Ich feiere die Eucharistie jetzt zuhause mit Mann und Kindern. Und ich wundere mich, dass die Kirche die Zeit der Krise nicht genutzt hat, die Gläubigen zu ermuntern, selbst mündig zu werden.
Zwar geben die Lesungen am Gründonnerstag (Exodus) und 2. Ostersonntag (Apostelgeschichte) klar vor, dass die Feier des Sederabends und der Eucharistie in den Hausgemeinsc haften stattfinden soll; jedoch hat sich die Kirche nie an die jährlich vorgetragenen Texte gehalten. Und für mich stellt sich inzwischen die Frage, ob ich nach der Krise wieder bereit sein werde, mich in die Schafherde ein zu reihen. Vermutlich werde ich der Kinder willen einen Kompromiß eingehen: wir werden sowohl in die Gemeinde zurück kehren, aber auch immer wieder zuhause Gottesdienst feiern.
Queere Freiheiten nehme ich mir auch privat wieder heraus. Und zum Glück gibt es immer mehr, die sich auch nicht länger an alle Beschränkungen halten wollen, die sich auch als Bürger mündig verhalten und selbst entscheiden, was sie tun und was nicht.
Ich hoffe, dass ich mir die gewonnenen Freiheiten über die Krise hinaus bewahren kann.
Liebe Grüße
Thomas Böß