Am 28.11.2020 hat am Ersten Advent der Soli-Gottesdienst in Herz Jesu um 17 Uhr seine Premiere: Corona trifft vor allem die freischaffenden Künstler*innen, denen nun Einkünfte wegbrechen. Sredna hat sich mit den Künstler*innen solidarisiert und gibt ihnen in der Advents- und Weihnachtszeit die Möglichkeit im Gottesdienst aufzutreten. Den Auftakt am 28.11.2020 machen Carlos Wagner und Simon Werner. Was die zwei Musiker verbindet? Was Jazz und Pop mit der Wiederkunft Christi zu tun hat? Spannende Fragen, die wir jetzt beantworten.
(links: Carlos Wagner, rechts: Simon Werner)
Carlos Wagner (38) und Simon Werner (34) bilden keine feste Formation. Die beiden studierten Musiker haben sich bei Auftritten kennen und sich sehr schätzen gelernt: „Simon und ich kennen uns seit knapp 7 Jahren. Wenn ein Jazz-Duo gesucht wird, ist er mein erster Ansprechpartner. Wir sind schon ziemlich gut befreundet, obwohl ich nicht verstehe, warum er im Fußball zu Mainz hält. Aber ich glaube auch, dass er nicht verstehen kann, warum ich den 1. FC Köln unterstütze.“ witzelt Carlos Wagner. Dass beide Musiker einen gleichen, und nicht nur musikalischen, Resonanzraum teilen, macht auch Simon Werner deutlich: „Wir sprechen eine gemeinsame Sprache. Menschlich und musikalisch.“
Überhaupt scheint Sprache für beide ein wichtiger Aspekt in ihrer Kunst zu sein. So erklärt Simon Werner: „Ich mache Musik, weil ich nach einer Ausdruckform suche, die das reflektiert, was ich tue und wie meine Umwelt auf mich wirkt. Es ist schön zu wissen, dass man über Musik ohne Wörter eine gemeinsame Sprache sprechen kann. Aber genauso produktiv und schön ist es, dass Musik nicht intentional ist und ich in ihr kein Alleinstellungsmerkmal als Künstler habe. Was ich mit meiner Musik sagen will, ist nicht ausschlaggebend für die Zuhörer*innen. Die nehmen sich mit, was sie daraus hören wollen und verbinden das mit Inhalten, die ihnen wichtig sind. Das macht für mich Musik als Kunst aus.“ Carlos Wagner, der Halbperuaner ist, sieht in der Musik etwas Kulturverbindendes, weil sie gerade nicht versucht, ein einheitliches Verständnis zu schaffen, sondern weil sie Zwischenräume schafft, in denen ein gemeinsames Erleben und ein gemeinsames Gefühl ebenso Platz haben wie Unterschiede und Differenzen. „Mir ist das aufgefallen, als ich in Peru war. Vieles war mir so vertraut und anderes, wie die Konservativität, doch so fremd. Aber über die Musik gab es eine kulturelle Verbindung, die alles Vertraute und Fremde in einem Dazwischen miteinander ins Gespräch brachte und vermittelte.“
Zum ersten Advent setzen sich Carlos Wagner und Simon Werner mit der Wiederkunft Gottes, der Parusie, auseinander. Nun ist die Wiederkunft kein einfaches Thema für den Glauben: Einerseits geht es bei der Parusie, um die Wiederkunft Jesu Christi, andererseits glaubt die Katholische Kirche daran, dass diese Wiederkunft mit dem Letzten Gericht verbunden ist. Auch wenn die Katholische Kirche lehrt, dass kein Mensch vorherbestimmt sei, in die Hölle zu kommen, so bleibt der Glaube an die Parusie nicht ohne Spannungen. Ein theologisches „Dazwischen“(?), um sich des Wortes von Carlos Wagner zu bedienen.
„Der Auftakt des Gottesdienstes beginnt mit dem recht poppigen Lied Mo‘ better blues.“ verrät Carlos Wagner. „Der Blues ist in seiner Geschichte auch mit dem Leiden der schwarzen Bevölkerungin Amerika verbunden.“ Damit stellt Wagner einen spannenden Bezug her zwischen der Hoffnung auf die Wiederkunft Gottes mit der gesellschaftlichen Unterdrückung, politischen Diskriminierung und dem sozialem Leiden von People of Color in den USA, die im Blues eine Ausdrucksform fand. Ein Zusammenhang der heute genügend Zündstoff böte, um eine Diskussion zwischen Gerechtigkeit, Rassismus und Diskriminierung zu führen.
Zur Gabenbereitung spielen Wagner und Werner die Ballade Body’n‘ Soul und eröffnen damit einen assoziativen Raum, in der die Frage nach Gemeinschaft, Vergebung der Sünde und der Wiederkunft für Leib und Seele gestellt wird.
Nach der Gabenbereitung wird es eine sphärische Improvisation mit dem Titel Circles geben: „Unser Leben verläuft oft in Kreisen. Jahreszeiten, religiöse Texte im Gottesdienst folgen einem Jahreskreis und Warten, Hoffen und Erfüllung von Hoffnung sind Dinge, die zyklisch in einem Leben vorkommen.“ deutet Werner das Stück. Den Abschluss des Abends bildet der funky Popsong Mercy und schlägt damit einen Kreis (Circle) zum Anfang des Gottesdienstes: „Gnade ist eine Hoffnung, die auf Leiden reagiert. Der funkige Klang des Stückes soll die Spannung von Leiden und Erlösung spürbar machen und gleichzeitig auflösen. Eine Stärke, die man in der Popularmusik, im Funk und im Blues findet.“
Man kann das Konzept von Carlos Wagner und Simon Werner hochtheologisch deuten und dazu ist das Publikum auch herzlich eingeladen. Carlos Wagner will mit der Musik seinen Gefühlen Ausdruck verleihen, unterschiedliche Welten, die im Gottesdienst zusammenkommen, verbinden und jeder und jeden seinen Resonanzraum zum Hören, Fühlen und Denken öffnen. Simon Werner schließt mit einem Gedanken, der einer Idee des Literaturwissenschaftlers Roland Barthes ähnelt und der die Deutung der Leser*innen vor eine Deutungsmacht der Künstler*innen stellt: „Unsere Musik hat keinen religiösen Hintergrund, aber das Publikum ist zur freien Interpretation der Stücke eingeladen.“ Und vielleicht schlägt das ja eine Brücke zwischen Wiederkunft und jüngsten Gericht, Advent und Blues, Gerechtigkeit und Diskriminierung und Hoffen und Warten.
Marc-Bernhard Gleißner