Aufatmen. Klanggebet mit Christine Radünzel und Gunter Berthold – in der Messe zu Neujahr 2021, 17 Uhr

Die erste Eucharistiefeier im Neuen Jahr 2021 wurde mitgestaltet von Christine Radünzel und Gunter Berthold. Zu Beginn, zur Gabenbereitung und zur Kommunion musizierten sie mit Stimme und verschiedenen Instrumenten:
Ein „Klanggebet“ zum „Aufatmen“.

Begrüßung

Liebe Schwestern und Brüder,

wir beginnen das Jahr 2021 mit dem Dank und der Bitte an Gott – für alle neuen Anfänge, die er uns schenkt – und zumutet.

Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass es ein gesegnetes werde.

Unter dem Wort „Aufatmen“ werden uns Christine Radünzel mit Stimme und Instrumenten in diesem Gottesdienst begleiten und anregen.

„Aufatmen“. Wer möchte das nicht. Nach diesem Jahr 2020.
Bei den Aussichten für die ersten Wochen und Monate des Jahres 2021.

„Aufatmen“ – hat mit Ausatmen und Einatmen zu tun.
Niemals in der jüngeren Vergangenheit
war der Atem mit dem Schatten des Krankmachenden,
der negativen Übertragung verbunden.
Diese Erfahrung ist zutiefst verstörend.
Für manch einen und manch eine…

Und dennoch beginnen wir dieses Neue Jahr mit dem „Aufatmen“.
Das tun wir ja nicht zuerst mit der Lunge und den Bronchien,
sondern mit dem Herzen, der Seele, mit der Mitte unserer Person.

Auch wenn sich der gestrige Tag kaum vom heutigen unterscheidet,
so ist es doch gut,
den Jahreswechsel zu markieren.
Den Fluss des Lebens zu unterbrechen – durch ein Fest.
Heute feiern wir den 8. Weihnachtstag, die Oktav geht zu Ende.

Ich lade Euch und Sie herzlich ein, das Eröffnungslied
gemeinsam zu sprechen: Nr. 258,1-3:
Lobpreiset all zu dieser Zeit…

Herr, nimm Du die Last von unseren Schultern,
die Last der Traurigkeit, der Schwere,
die Last der Verantwortung und der Schuld.

Lass uns aufatmen durch deinen Geist!

Ehre sei dir!

Nun seid fröhlich (GL 755)

Gebet

Lebendiger Gott,
du bist ohne Anfang und ohne Ende,
alles, was ist, kommt von dir.
Durch die Geburt deines Sohnes
aus der Jungfrau Maria
hast du der Menschheit dein Leben geschenkt.
Dir weihen wir das neue Jahr.
Lass uns an allen Tagen erfahren,
dass du unser Leben umfängst und erfüllst
und lass uns – wie Maria – deine Größe preisen.
Darum bitten wir durch Jesus Christus.

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder,

vor fast 7 Jahren hielt der frühere Abt Mark Patrick Hederman aus der irischen Benediktinerabtei Genstal eine packende Rede zum St. Patrick’s Tag. Das irische Fernsehen hatte Persönlichkeiten des Öffentlichen Lebens eingeladen, ihre Gedanken vorzutragen zum Zustand und zur Entwicklung der irischen Gesellschaft. Die Überschrift war: „We need to talk about Ireland – Wir müssen über Irland reden. 

Ich bin immer noch dankbar, dass ich vor 3 Jahren mit Bruder Mark Patrick Exerzitien machen durfte. Von Form und Inhalt her die eigenartigsten Exerzitien meines Lebens. Immer wieder mal muss ich mir das Video anschauen. Es verändert mich und weckt in mir neue Lebensenergie. Es lässt mich aufatmen.

So auch in den vergangenen Tagen. Ich war selten so ratlos an einem Jahreswechsel. Mir ist das Wortemachen irgendwie vergangen. In einem Post zum Jahreswechsel schrieb die Bundestagsabgeordnete Corinna Rüffer: „Über 2020 ist alles gesagt“. Ganz genau, habe ich mir gedacht. Aber offensichtlich noch nicht von allen.

Es ist alles gesagt und geschrieben zu Corona, zum Lockdown und zu den Impfungen. Es ist auch alles gesagt und geschrieben zu der Gewalttat am 1. Dezember in Trier. Es ist alles gesagt zum Veränderungsbedarf in unserer Kirche.

Dass alles gesagt ist, heißt ja nicht, dass auch nur irgendetwas gelöst wäre. Mit nichten. Aber das weitere Wortemachen bringt uns der Veränderung nicht näher.

 „We need to talk about Ireland. Wir müssen über Irland reden“. Und über Deutschland und Trier und die Welt, gerade die Welt – und über die katholische Kirche. Aber was? Und wie? So dass irgendetwas in eine positive Bewegung kommt…

 Alle Themen beschäftigen Euch, Sie und mich. Klar!

Das Kirchenthema allerdings brennt mir am meisten unter den Nägeln. Das ist ja vielleicht verständlich. Deshalb habe ich im Text von Mark Patrick „Irland“ durch „Kirche“ ersetzt – und meine damit die Erfahrung unserer Kirche – hier in Deutschland, so wie sie ist; die uns geformt, vielleicht auch verformt hat – die wir in unterschiedlicher Art mitgestalten – aber auch repräsentieren.

 Mit dieser Veränderung hört sich sein Statement dann so an, in Deutscher Sprache:

Wir müssen über die Kirche reden.
Wir alle wissen, dass das letzte Jahr,
das letzte Jahrzehnt, das letzte Jahrhundert
für viele von uns traumatisch gewesen ist.

 Und es macht wenig Sinn,
das zu benennen, Schuldige zu suchen
und dies alles zu bezähmen,
was wir durchlebt haben.

 Mit der Vergangenheit wird man sich beschäftigen müssen.
Ganz sicher.
Vergessen ist keine Option.

Aber: es gibt keine Zukunft in der Vergangenheit,
so wie wir sie erlebt haben. 

Die Lösung liegt in einer gemeinsamen Vision
für eine inklusive Zukunft.

 Um eine Plattform für diese Zukunft zu bauen,
brauchen wir Phantasie – und weniger Erinnerung.

 Nur die Phantasie kann eine Vorstellung davon entwerfen,
wie 7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten zusammenleben.

Wir müssen mehr als tun
als über diese Kirche, diese Kirchenerfahrung zu reden….
wir müssen über sie hinwegkommen
wir müssen sie hinter uns lassen.

RS:  Also: Unsere Kirchenerfahrung hinter uns lassen….
Die Zukunft liegt nicht in der Vergangenheit. Eine gemeinsame Vision. Phantasie, weniger Erinnerung…

Wir müssen über die Kirche reden.
Es gibt zu viel Hass, Gewalt, Wut, Schuldzuweisung. 

Wir müssen unser Innerstes nach außen kehren,
eine Kirche des Willkommens muss damit beginnen,
alle Aspekte willkommen zu heißen,
die zu uns selbst gehören.

 Es gibt zu viel in uns selbst,
das wir in der Vergangenheit verurteilt
und auf andere projiziert haben –

Wir selbst sind nicht nur die reine Süße und das helle Licht.
Es gibt eine dunkle Seite, die wir uns genau anschauen und integrieren müssen.
Es wird Zeit, anzuerkennen,
dass diese Dunkle ein wesentlicher Teil unsres Selbst ist.

(Viele unserer Schriftsteller haben versucht, unsere dunklen Seiten zu beschreiben. Sie wurden zurückgewiesen und verdammt.)

Wir müssen das Gefühl der Minderwertigkeit und der Unsicherheit loswerden,
wir haben dasselbe Recht am Tisch der Zukunft zu sitzen,
wie jede und jeder andere auch.
Wir müssen aufhören, uns etwas vorzumachen,
wir müssen erwachsen werden.
Und klar und deutlich zum Ausdruck bringen, wofür wir stehen.

 Die Zukunft ist in unseren Händen.
Sie ist eine kostbare Gabe, die wir vergeuden, missbrauchen,
ausbeuten oder entstellen können.

Ganz offensichtlich gibt es Kräfte und Mächte um uns herum,
die unsere Eigenständigkeit verringern
und unsere Verantwortung verkleinern wollen.

Wie auch immer.
Es ist immer noch möglich für uns,
an der Schwelle zum dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts
die Zukunft so gestalten, wie wir sie für angemessen halten.

 RS: Also: Erwachsen werden. Die Zukunft in unseren Händen.

Und wir haben viel zu bieten,
besonders im Reich der Phantasie und im Bereich der Kultur und Spiritualität.

Kultur und Spiritualität im Gegensatz zu konfessioneller Identität
ist nichts, was man peinlich genau abstecken könnte
und eifersüchtig bewahren wollte.
Sie  sind etwas, die wir großzügig und vielfältig teilen.
Spiritualität ist ein wesentlicher Bestandteil dessen, wer wir sind.

(Das irische Volk war immer nah bei Gott.
„Die Hilfe Gottes ist näher als irgendeine Tür“.)

Kultur und Spiritualität ist ein wesentlicher Bestandteil dessen, wer wir sind.
Es gibt keine Zukunft für uns ohne
ohne die Führung des Heiligen Geistes.

Und lasst uns darüber ganz sicher sein:
Keine noch so brutale schlechte Behandlung, kein noch so gemeiner Verrat
auf Seiten der Kirche oder sonst irgendwem
kann die heilige Geistkraft Gottes davon abhalten,
sich mit uns zu beschäftigen und unseren Weg zu führen.

RS: Und er schließt mit einem Wort aus dem Psalm 95, der jeden Morgen zur Eröffnung des Stundengebet gesprochen wird.

Heute, falls Du diese Stimme hörst, verhärte nicht dein Herz.

Liebe Schwestern und Brüder,
ich habe mir diese Worte nochmals sehr gern sagen lassen zu Beginn des Neuen Jahres:
Die Lösung liegt nicht in der Vergangenheit, im Gegenteil: wir müssen sie hinter uns lassen.
Eher die Phantasie als die Erinnerung eignet sich, eine Zukunft zu erdenken – und dann auch zu gestalten.
Dazu müssen wir unsere eigenen dunklen Seiten kennen und willkommen heißen, integrieren.
Kultur und Spiritualität großzügig teilen – statt Konfessionalität peinlich genau abstecken und eifersüchtig bewahren.

Auf die Geistkraft Gottes hören, die sich von nichts und niemandem in und außerhalb der Kirche abbringen lässt, sich in unser Leben einzumischen und uns zu führen.

Ich konnte aufatmen, bei diesen Worten und Gedanken, auch jetzt wenn ich sie vortrage – sie tun gut, sie schaffen Orientierung.

Ich kann aufatmen, weil es diesen Ort gibt, die Herz-Jesu-Kirche, das sredna-Netzwerk, die sredna-Gemeinde.

Ich kann aufatmen, weil die Geistkraft Gottes sich auch 2021 nicht davon abbringen lässt, sich in mein und unser Leben einzumischen.

Ich bin gespannt. Amen.

2 Antworten auf „Aufatmen. Klanggebet mit Christine Radünzel und Gunter Berthold – in der Messe zu Neujahr 2021, 17 Uhr“

  1. Diese Worte von Abbot Hederman sind soo gut!!
    Ich war ganz eingenommen davon gestern bei der Predigt und hoffe, dass ich sie mir immer wieder vor Augen halte: wir können die Welt gestalten mit Hilfe der Phantasie. Die Erinnerung können wir zurücklassen.
    Kultur und Spiritualität großzügig teilen…!
    Vielen Dank , dies lässt wirklich aufatmen.

    1. Danke Marianne für deine Worte zu dieser befreienden und mutmachenden Predigt. Mich sprach sie auch in besonderer Tiefe an. Viele meiner kreativen Möglichkeiten fielen mir ein, die mich persönlich immer wieder die Geistkraft spüren lassen und wenn sie mir keine Ruhe lässt, sie mich bewegt und mir die Kraft verleiht sie in die Tat umzusetzen.
      Magdalena

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.