5. FASTENSONNTAG 2023. „Da ist noch ein Platz frei“

Persönliche Gedanken zum 5. Fastensonntag – von Ralf Schmitz.

Die Auferweckung des Lazarus
1 Ein Mann war krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf der Maria und ihrer Schwester Marta. 2 Maria war jene, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hatte; deren Bruder Lazarus war krank. 3 Daher sandten die Schwestern Jesus die Nachricht: Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank. 4 Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. 5 Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus.

6 Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt. 7 Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. 8 Die Jünger sagten zu ihm: Rabbi, eben noch suchten dich die Juden zu steinigen und du gehst wieder dorthin? 9 Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; 10 wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist. 11 So sprach er. Dann sagte er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken. 12 Da sagten die Jünger zu ihm: Herr, wenn er schläft, dann wird er gesund werden. 13 Jesus hatte aber von seinem Tod gesprochen, während sie meinten, er spreche von dem gewöhnlichen Schlaf. 14 Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben. 15 Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt. Doch wir wollen zu ihm gehen. 16 Da sagte Thomas, genannt Didymus, zu den anderen Jüngern: Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben![1]

17 Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. 18 Betanien war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. 19 Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten. 20 Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus sitzen. 21 Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. 22 Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben. 23 Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. 24 Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag. 25 Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, 26 und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? 27 Marta sagte zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.

28 Nach diesen Worten ging sie weg, rief heimlich ihre Schwester Maria und sagte zu ihr: Der Meister ist da und lässt dich rufen. 29 Als Maria das hörte, stand sie sofort auf und ging zu ihm. 30 Denn Jesus war noch nicht in das Dorf gekommen; er war noch dort, wo ihn Marta getroffen hatte. 31 Die Juden, die bei Maria im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass sie plötzlich aufstand und hinausging. Da folgten sie ihr, weil sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen. 32 Als Maria dorthin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sagte zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.

33 Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, war er im Innersten erregt und erschüttert. 34 Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie sagten zu ihm: Herr, komm und sieh! 35 Da weinte Jesus. 36 Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte! 37 Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb?

38 Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war. 39 Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, sagte zu ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag. 40 Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? 41 Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. 42 Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. 43 Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! 44 Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen!

45 Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn. 46 Aber einige von ihnen gingen zu den Pharisäern und sagten ihnen, was er getan hatte.

 

Unvergessen – die Reise nach Jerusalem im Jahr 2013.
Unvergessen der Besuch des Grabes von Lazarus – direkt an der Mauer.
Beklemmend der Abstieg in die Grabeshöhle.
Eine Sackgasse. In der jeder Hinsicht. Das Grab. Die Mauer. Eine Sackgasse.
Von dort gibt es nur einen Weg: heraus ans Licht…

Seit meinem 50. Geburtstag hat die Ikone aus einer Gemeinschaft einen festen Platz in meinem Wohnzimmer und meinem Leben: Die Ikone der „Freund*innen Jesu in Betanien“.  Jesus in der Mitte, zur Linken Marta mit einem Kochtopf und Maria zu Füßen Jesu – mit dem Ölgefäß, mit dem offen Händen und dem offenen Herzen.
Marta – die praktische, die starke Frau – die Jesus zur Rede stellt, die keine Angst hat, die ihn konfrontiert: „Wärest Du hier gewesen, so wäre unser Bruder nicht gestorben!“ Dahinter vielleicht auch der Vorwurf: „Warum warst Du eigentlich nicht hier?“ Aber sie setzt noch auf eine weitere Chance: „Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.“ Marta ist die, die die Familie zusammenhält, die das Haus auf ihrem Namen hat. Sie musste sich durchsetzen in einer von patriarchaler Herrschaft geprägten Umwelt.
Und Maria – die unter dem Schutz ihrer – möglicherweise – älteren Schwester ganz andere Begabungen entwickeln kann: das feine aufmerksame Zuhören mit dem Ohr und Nachspüren mit dem Herzen… das tiefe Trauern über den Tod und den Verlust des Bruders…. das Aushalten der „Leerstelle“ – in der Freundschaft mit Jesus. Ihre tiefe Trauer erschüttert auch Jesus bis in die Eingeweide – und lässt ihn das letzte große Zeichen vollbringen vor seinem eigenen Tod: er erweckt Lazarus wieder zum Leben.

Lazarus. Der Mann, der kein Wort sagt – weder im Lukas- noch im Johannesevangelium. Der Mann, der im Haus seiner Schwester Marta wohnt. Einer, dem Jesus aber in Liebe zugetan war – den er liebte. Auf der Ikone legt Jesus den Arm um seine Schulter. Jean Vanier, der Gründer der Arche-Gemeinschaften, hat vermutet, dass Lazarus vielleicht ein Mensch mit einer Behinderung war – einer, den Jesus auch deswegen besonders liebte.
Ein Machtwort Jesu holt ihn aus dem Tod: „Komm heraus!“ Von seinen Binden, seinen Fesseln wird er befreit – und er geht einfach weg. Kein Wort. Kein Dank. Kein Halleluja. Nichts. Kein Wort, wie sein Leben weitergeht.

Ich würde ihn so gern fragen: Wie war das Lazarus? Wie hast Du Deinen Tod erlebt? Deinen Schlaf, wie Jesus sagte? Warst Du wie in einer Narkose, die sich anfühlt wie der Tod? Bist Du daraus erwacht, wie nach einer großen OP? Stand Jesus wie ein Pfleger an Deiner Seite – und sagte: „Hallo! Wie geht es Ihnen? Möchten Sie etwas trinken? Wollen Sie mal kurz mit jemandem telefonieren?“
Wie ist Dein Leben weitergegangen? Hast Du eine Zeit gebraucht, Dich zu erholen? Hat es eine Zeit gedauert, bis der Kostaufbau anfangen konnte? Haben Dich Besuche ermüdet? Oder inspiriert? Warst Du im Gespräch mit Dir selbst  – oder hast Du einfach gedacht: ich lebe – und ich will weiterleben?

Wie hat sich Deine Beziehung zu Deinen Schwestern verändert? Und natürlich zu Jesus? Sicher waren die drei und manche andere an Deiner Seite. Sie waren ein Netzwerk, das Dich getragen hat – wie eine Hängematte der Freundschaft und der Liebe.

Als wir damals in Trosly Jean Vanier eine Fotokopie der Ikone geschenkt haben, lächelte er und sagte: “ Da ist noch ein Platz frei, auf der Ikone, in der Freundschaft von Jesus mit Marta, Maria und Lazarus – das ist noch ein Platz frei!“

Die Beziehungen sind es, in die Jesus auferstanden ist – die Beziehungen zu den Frauen, den Zwölf, einzelnen von ihnen – am Grab, im Saal, am See. Beziehungen im Geist – von Herz zu Herz – und in der Wahrheit – mit allem, was die Freund*innen ausmacht: mit allen Ecken und Kanten, mit den Verfehlungen und der Schuld, mit dem, was unzureichend war. Jesus ruft uns zu: „Komm heraus!“

Gut, dass da noch ein Platz frei ist!

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.