DIE VIELEN WOHNUNGEN – 5. Sonntag in der Osterzeit 2023

Ansprache in der Sonntagsmesse im Brüderkrankenhaus am 07. Mai 2023 zum Evangelium Joh 14,1-7 „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen“.

Zum Nachhören

5. So Oz A – Im Haus des Vaters – BKT

Text*

Liebe Schwestern und Brüder,
hier in der Kapelle und in den Zimmern,

ein ungewohntes Gesicht hier am Ambo – mein Name ist Ralf Schmitz, ich bin seit 25 Jahren Pfarrer der Gehörlosengemeinde und seit 2015 zusätzlich Pfarrer im Trierer Süden, in der Pfarrei St. Matthias, vor allem in der Herz-Jesu-Kirche im Dienst.

Natürlich war ich unzählige Male hier im Brüderkrankenhaus, zu verschiedenen Anlässen, in verschiedenen Rollen. Heute bin ich hier als Patient (Bändchen zeigen!) – wie manche von Ihnen. Ich war schon öfter hier in diesem Jahr, werde wohl auch noch öfter kommen müssen. Im Moment geht es mir gut – und da habe ich Hans-Edmund Kieren-Ehses angeboten, aus dieser für mich völlig neuen Perspektive eines Patienten auf das heutige Evangelium zu schauen. Wir beide haben 1978 zusammen im Priesterseminar angefangen. Danke Dir, Hans, dass ich heute morgen meine Gedanken teilen kann.

Das Evangelium haben wir schon mal gelesen in dieser Woche – am Freitag. Es sind Worte aus der Großen Rede Jesu – in der Nacht vor dem Abschied, nach Mahl und Fußwaschung.

Wohnungsvielfalt

Als ich den Text am Freitag gelesen habe, ging gerade die Sonne auf. Sie tauchte die Dächer in verschiedene Licht- und Schattenspiele, brachte das frische Grün der Bäume besonders zum Leuchten. Etliche Gebäude waren zu sehen, in einzelnen Ausschnitten. Gebäude wahrscheinlich aus allen Jahrzehnten, seitdem es das Brüderkrankenhaus gibt. Gebäude, die mit ihrer Modernität bestechen – Gebäude, die dringend überholt werden müssen – große und kleine, bunte und einfarbige, verspielte, nüchterne, Flachdächer und Giebeldächer. Eine unübersichtliche Vielfalt. So sah es diesmal aus.

Ich war schön öfter hier in diesem Jahr – und ich weiß: aus jedem Zimmer und jedem Fenster sieht das Krankenhaus völlig anders aus. Von nirgendwo gibt es einen Überblick, eine Gesamtsicht. Außer aus dem Hubschrauber. Mal ist der Blick sehr eng, von umgebenden Mauern eingeengt, mal ist er weit – wenn es weiter nach oben geht. Mal geht der Blick nur nach drinnen ins Krankenhausgelände, mal darüber hinaus in die Nachbarschaft, mal sieht man das Grün, mal nicht. Es ist ja gar kein Haus, dieses Krankenhaus, es ist ein Dorf. Oder vielleicht sogar eine Stadt. In der Stadt. Ich war in Funktionsräumen, da gab es gar keine Fenster. Oder sie waren abgedunkelt. Andere waren taghell erleuchtet, künstlich – ohne Blick nach draußen.

Einerseits machen die Vielfalt und die Unübersichtlichkeit Angst. Wie oft ist mir der Schweiß ausgebrochen, wenn eine Begleitung mit mir zu einer Untersuchung gegangen ist und dann gefragt hat: „Finden Sie allein zurück?“ Ich hatte mein eigenes Päckchen im Kopf, meine Sorgen und Fragen, meine Müdigkeit – und musste dann auch noch fragen, wie ich wieder zurückkomme… wie meine Station überhaupt heißt.

Andererseits ist die Vielfalt beruhigend: da ist für viele und vieles Platz. In aller Unterschiedlichkeit. Es werden nicht alle über einen Kamm geschoren. Vielfalt macht Spaß – wenn die Kraft da ist. Sie wird zu einem Geländespiel: Wege planen, Kreuzungen wiedererkennen… „ob hinter der nächsten Kurve der Glasaufzug ist?“ Ja!  Vielfalt ist wunderbar, für Menschen, die Kraft haben.

„Viele Wohnungen“ gibt es hier auf jeden Fall. Orte, wo Menschen bleiben können. Für eine bestimmte Zeit. Wenigstens. Zum Untersuchtwerden. Zum Gesundwerden. Zum Sterben. Zum Arbeiten. Zum Lernen. Zum Besuchen. Für eine kürzere Zeit, für eine Untersuchung, eine Behandlung, einen Besuch, ein Praktikum, einen Gästeaufenthalt. Für eine längere Zeit oder gar ein ganzes berufliches Leben. Oder für immer, durch die Verpflichtung auf die Ordensregel der Barmherzigen Brüder.

Ist dieses Krankenhaus so ein „Haus des Vaters, in dem es viele Wohnungen gibt“, in das Jesus geht, um für uns einen Platz vorzubereiten?
Ich musste an Ärztinnen und Ärzte denken, die mich eingewiesen und damit einen Weg gebahnt haben – an die Mitarbeitenden in der Notaufnahme, auf den Stationen, die einen Platz für mich vorbereitet haben… ich musste an die Papierflut denken, die jedes Mal auszufüllen ist. Immer dieselben Fragen, immer dieselben Antworten. Die Mitarbeitenden, die darüber selbst den Kopf schütteln. „Ist halt so“. Das wird es im Himmel nicht geben! Aber am Ende gab es hier immer einen Platz. Es tat gut, manchmal nach einigen Stunden Warten und Untersuchen und Warten, einfach ein sauberes Bett zu haben – wo ich ruhig liegen und die Augen für diesen Tag schließen konnte, in einem Gefühl der Erschöpfung, aber auch der Ruhe und Sicherheit, „hier passiert Dir nichts, hier passen sie auf dich auf“ – wenn nur noch die Infusion läuft und niemand mehr irgendwas fragt.

Nicht Architektur, sondern Beziehung

Wenn wir Jesus im Gespräch mit Thomas weiter zuhören, dann wird uns schnell klar, dass das Haus des Vaters kein Gebäude, sondern eine Beziehung. Theologen haben in langen Abhandlungen versucht, diese Beziehung zu beschreiben – diese innergöttlichen Bewegungen. Mir sagt das nicht viel. Es geht eigentlich immer um dasselbe – und das ist ganz einfach: Liebe. Geliebt zu werden und zu lieben – darunter können sich alle etwas vorstellen.

Bilder steigen auf, Hoffnungen, Wünsche, Träume, eine Sehnsucht – natürlich auch der Schatten dazu: die Erfahrung von Ablehnung, Kälte, Teilnahmslosigkeit. Es muss nicht immer bitterer Hass sein. Und die Schattenerfahrung, an Grenzen der Liebe zu stoßen: einfach nicht mehr zu können – am Limit zu sein – und dem Gegenüber meine Liebe schuldig zu bleiben, weil es einfach nicht mehr geht – bei bestem Willen. Das gibt’s in der Rolle als Patient, Patientin – als Mitarbeiterin, Mitarbeiter.  Sie wissen, was ich meine… Ich suche mir die Leute ja nicht aus, die neben mir im Bett liegen, die gegenüber am Schreibtisch sitzen – die Menschen, die ich pflegen muss – die Menschen, von denen ich gepflegt werde. Und irgendwann kann man schon auch mal mit all seiner Liebe am Ende sein.

Trotzdem, bei allem Schatten, bleibt ja unsere Sehnsucht nach Liebe, Aufmerksamkeit, Hilfe, Trost, Mitfreude, was auch immer. Und auch unsere Bereitschaft, diese Liebe selbst auch zu geben.

So einfach soll das sein – in Gott? Zwischen Jesus und dem Vater? Und dem Heiligen Geist? Ich glaube JA. Gott macht vor, dass und wie sie gelingen kann – die Liebe. Für immer. Wie sie dauerhaft heilt, ohne die Wunden zu vergessen. Wie Gerechtigkeit und Güte in eins gehen. Wie Grenzen überwunden werden – sogar der Tod. Das feiern wir an Ostern.

Gott ist Liebe – nicht nur in sich selbst, sondern über sich hinaus – zu uns. Bis zur Perfektion, meine ich. Egal, was aus uns geworden ist, welchen Mist wir gebaut haben, wo wir uns verrannt haben – wir können Gott nicht endgültig frustrieren, so dass Gott die Lust an uns verliert. Das kriegen wir nicht hin – und Gott auch nicht. Hans-Edmund und ich hatten den kleinen alten wachen Professor Alfons Thome in Religionspädagogik, der nicht müde wurde, uns vom „menschenfreundlichen, ja, menschennärrischen Gott“ zu erzählen.

Haus des menschenfreundlichen Gottes?

Zurück zur Ausgangsfrage:  Ist das Brüderkrankenhaus ein Haus des menschenfreundlichen, ja menschennärrischen Gottes? Ist Gottes Liebe hier erlebbar? In den Zimmern und in den Funktionsräumen, in den Büros, auf den Fluren, in der Küche, im Domus Culinae, im Gästehaus, in den Kirchen und Kapellen, den Parks… die Aufzählung könnte ich noch lange fortsetzen… Ist hier Gottes erfahrbar – in vielen Wohnungen, für einzelne individuelle Lebenswege, in Lebensräumen und Lebensweisen?

Die Kreuze auf den Giebeln und im Firmenlogo beantworten diese Frage nicht. Sie zeigen nur öffentlich den Anspruch. Den Anspruch und die Selbstverpflichtung.

Ist das Brüderkrankenhaus – ein Haus des menschenfreundlichen Gottes?

Wer diese Frage stellt, muss sie für sich beantworten, egal warum er oder sie hier ist – ob als Ordensmann, als Mitarbeiter*in, als Patient*in, als Gast, als Gottesdienstbesucher*in. Die Erfahrungen sind sicher unterschiedlich und haben eine große Bandbreite: Von „Ja, ganz großartig“ – bis hin zu „Nie im Leben“.
Zur Antwort auf diese Frage gehört aber auch der Blick auf sich selbst. Mache ich selbst hier diese Liebe Gottes erfahrbar? Als Ordensmann, als Mitarbeiter*in, als Patient*in, als Gast, als Gottesdienstbesucher*in? Es gibt da keine Arbeitsteilung in Dienstgeber und Dienstnehmer.

An einem Abend in dieser Woche, als es mir wirklich nicht gut ging, habe ich gedacht: So bevor Du einschläfst überlegt Du, was an diesem SCH-Tag trotzdem gut war. Am Ende fiel mir ein, WER gut zu mir war. Ich glaube, ich bin mit einem dankbaren Gesicht eingeschlafen…

Liebe Schwestern und Brüder,
am Freitagmorgen bin ich im Nachdenken über das Evangelium gar nicht über den ersten Satz hinausgekommen. Haben Sie den noch im Ohr: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren! Im Haus des Vaters gibt es viele Wohnungen, auch eine für Dich. Da wirst Du geliebt. Und Du kannst lieben! Für immer!“ Ein Chanson des Belgiers Jacques Brel hat uns in Ostertagen 2023 in Herz Jesu inspiriert: Quand on n’a que l’amour… Wenn uns nur Liebe bleibt…. Sie bleibt. Lass dich nicht verwirren. Amen.

* leicht überarbeitet wegen einiger  Nachgespräche und Rückmeldungen, für die ich von Herzen dankbar bin.

Am Ende bleibt die Liebe. Und ein Stück Erdbeerkuchen. Danke, Bruder Clemens-Maria.

Eine Antwort auf „DIE VIELEN WOHNUNGEN – 5. Sonntag in der Osterzeit 2023“

  1. Eine Predigt aus der Sicht des Patienten: Ich war sehr froh, dass ich mich aufgemacht, um sie zu hören. Und Du hast mich nicht enttäuscht. Beim nachträglichen Lesen Deiner Predigt auf der Homepage, ist mir aufgefallen, dass ich doch nicht so genau hingehört. Klasse, dass Du Dich als Patient vom Ambo aus mit Deinem Erkennungsbändchen geoutet. Das wirkte überzeugend.

    Die Patienten sollten die sein, die sich in der Hauptsache von der Übertragung der Sonntagsmesse in die Krankenzimmer angesprochen fühlen. Obwohl ich sehr gute Predigten im BKT höre, sind sie aber nicht eigens auf die Situation der Patienten abgestimmt. Die werden extra begrüßt; doch ansonsten könnte die Ansprache auch an jedem andern Ort gehalten werden.

    Da die persönliche Seelsorge meiner Ansicht nach aber immer weniger angefragt wird, wäre das vielleicht eine Möglichkeit, Gott in dieser schwierigen Lage des Aufenthalts zur Sprache zu bringen. Er ist oft genug von Angst, Sorge, Mutlosigkeit und Einsamkeit gekennzeichnet.

    Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen – Das höre ich so oft bei Beerdigungen und ich habe mich sofort gefragt, wie kriegst Du jetzt die Kurve. Ich fand den Einstieg sehr gelungen, die verschiedenen Aussichten und Fenster zu beschreiben und das Krankenhaus als eine Stadt in der Stadt wahrzunehmen.

    Und ich konnte mich so gut in diesen Situationen wiederfinden, denn auch ich habe bereits in Krankenhäusern gelegen. Vor allem über die Frage musste ich schmunzeln, ob ich nachher den Weg wieder allein zurückfände. Das gestaltete sich manchmal richtig schwierig. Meine Gedanken waren, wie Du auch gesagt, mit allem besetzt, was Untersuchungen ergaben.

    Und dann das Labyrinth unserer Krankenhäuser: Architekten mögen sich noch so gute Hinweismöglichkeiten erdacht haben. Es bleibt eine Herausforderung, sich dort zurecht zu finden, auch als Kommunionhelferin. Ich habe zwar eine bevorzugte Linie, doch ich übe mich von Zeit zu Zeit immer wieder darin, auch den Weg durch die andern Stationen ohne Schwierigkeiten zu finden.

    Womit ich ein Problem habe, ein Krankenzimmer als Wohnung zu bezeichnen. In Dreibettzimmern kann es eine echte Herausforderung sein, heilende Ruhe zu finden. Natürlich habe auch ich bereits First-Class-Pflege erfahren, vor allem als man mich 2018 wegen eines Norovirus 12 Tage im Mutterhaus isoliert hat. Keinem sonst ist das bisher in dieser radikalen Form passiert. Hatte keinen Kontakt nach draußen, da ich kein Aufladekabel fürs Handy und mein Zimmertelefon nicht angemeldet wurde.

    Aber ich wollte bei allen Aufenthalten immer nur wieder raus. Ich halte das für ganz natürlich. Draußen erwarten mich das pulsierende Leben und all die Menschen, die ich vermisst. Wenn ich natürlich jetzt über Deinen weitergefassten Begriff zu den „Wohnungen“ im Krankenhaus lese, dann sieht es anders aus. Vorübergehend Wohlfühlen, das gelingt mir gut an den verschiedensten Orten.

    Ich fand das so schön, dass Du auf die wohltuenden Erlebnisse eingegangen. Es scheint mir, immer weniger Patienten zu geben, die das zu schätzen wissen. Ich erlebe so oft, dass das Pflegepersonal total geknickt ist durch die massiven Angriffe von Patienten und Angehörigen. Das tut mir dann richtig weh.

    Ich finde es gut, dass Du nach einem bescheidenen Tag nach dem Guten suchst. Das ist meiner Ansicht nach die einzige Herangehensweise, die weiterhilft. Es gibt immer etwas, wofür man danken kann. Und Du wurdest mit einer guten Nacht beschenkt. Als sehr wichtig empfand ich den Blick auf das eigene Verhalten. Es sind inzwischen viele, die denken, das ganz unterschiedliche Personal in seinen vielfältigsten Aufgaben ist zur Menschenliebe dienstverpflichtet.

    Hier finde ich Deinen Perspektivwechsel so erhellend. Der Patient selbst ist angefragt, die vielfältigen Therapien und die Pflege nicht nur als Selbstverständlichkeiten zu beanspruchen, sondern seinerseits ein Stück Liebe zurück zu schenken. Wie gut würde das dem Personal tun, das unter einem enormen täglichen Druck und übermäßigem Kräfte- und Zeiteinsatz steht.

    Es war völlig aus meinem Gedächtnis verschwunden, dass es ich bei den vielen Wohnungen Gottes um Beziehungen handeln soll. Das weitet meine enge Sichtweise. Unser dreifaltiger Gott ist Kommunikation in sich. Er hat auch uns als Beziehungsmenschen erschaffen und gewollt, uns in die Verbindung gestellt zu uns selbst, zu unsern Mitmenschen und zu ihm. Wie schwer kann das manchmal sein, aber letztlich wie bereichernd und beglückend ist es!

    Interessanterweise lebt in mir der Satz – wir gehen diesen Weg zwar selbst aber nicht allein – Er kommt gar nicht vor in Deiner Predigt. Doch er stärkt mich, macht mir viel. So viele sind für uns da und einer ganz gewiss. Ich darf mich geliebt fühlen und mit meiner Liebe antworten. – Wenn uns nur Liebe bleibt …

    Ich glaube, an diesem Sonntag waren alle Ohren weit geöffnet, nicht nur die der Patienten. Für viele war das sicher ein Aha-Erlebnis, für mich in jedem Fall. Ganz herzlichen Dank.

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