Predigt (rs)
Liebe Schwestern und Brüder,
das Evangelium des heutigen Festes führt uns an den Anfang des Lebens von Jesus und seiner Mutter. Über ihr Ende findet sich in der Heiligen Schrift nichts – ihre Spur verliert sich – wir lesen noch einmal von ihr – im Zeugnis des Lukas am Anfang der Apostelgeschichte, als die Apostel im verschlossenen Saal beieinandersaßen – bevor die Kraft aus der Höhe sie ergriffen und hinausgetrieben hat. Im Evangelium des Johannes stiftet Jesus unter dem Kreuz eine Beziehung zwischen seiner Mutter und seinem Lieblingsjünger, der sie „als ihr neuer Sohn“ in sein Haus aufnimmt. Wie Marias Leben zu Ende geht, erfahren wir nicht.
Dennoch wurden Geschichten und Legenden über ihr Ende erzählt – sie entspringen dem völlig selbstverständlichen Glauben, dass Gott sie am Ende gewürdigt hat – die Frau, die seinem Sohn das Leben geschenkt hat – die sich mit Haut und Haar dem Kommen seines Reiches zur Verfügung gestellt hat.
An ihrem Ende ereignet sich das, was sie am Anfang, zu Beginn ihrer Schwangerschaft besingt:
Gott ist ihr Herr, ihr Retter, den sie bejubelt.
Auf ihre Niedrigkeit hat er geschaut –
die Generationen, die nach ihr kommen, preisen sie selig.
Großes tut der Mächtige – auch in dem Augenblick,
in dem er ihre Augen für immer schließt und sie entschläft.
Sein Erbarmen bleibt für immer – und die neue Ordnung, in der Mächtige vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht werden.
Am Ende ihres Lebens stehen der neue Himmel und die neue Erde – verbunden mit der Hoffnung, dass Gott „alles in allem“ sein wird.
Ob die formale Verkündigung des Dogmas „der Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele“ im Jahr 1950 durch Papst Pius XII. nötig war oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Die einen waren hocherfreut, für die anderen war es eine Selbstverständlichkeit, die nicht eigens hätte betont werden müssen und die die Koordinaten verschiebt: bei aller Wertschätzung ist und bleibt Maria ein Menschenkind, Teil der Schöpfung – eine Frau, die sich ganz für Gott entschieden hat.
Für die Kirchen in der Ökumene war die Definition des Dogmas schwierig. Das hat wohl mehr mit dem Selbstverständnis des Papstes in der Verkündigung eines Dogmas zu tun – als mit dem Inhalt selbst. Schwierig bleibt die Sprache – die definiert, einschließt und ausgrenzt, klarstellt, unterscheidet – in einer Wirklichkeit, von der Jesus selbst eigentlich nur erzählt hat, mit Geschichten, die ermutigen, die auch mal den Ernst der Lage zum Ausdruck bringen und die weiterdenken lassen – hinter den Horizont, den wir Himmel nennen.
1974 hat der Priester und Dichter Willem Willms aus dem Bistum Aachen großes Aufsehen erregt mit seinem Singspiel „Ava Eva – der Fall Maria“, auch hier in Trier. Wenn ich das richtig behalten habe, war eine Aufführung in der Heiligkreuzer Kirche geplant und wurde auf Druck von oben abgesagt. Wahrscheinlich erinnern sich einige von Ihnen daran.
Willem Willms hat sich der Überlieferung in einer anderen zeitgenössischen, poetischen Sprache angenähert und den Protest und die Hoffnung, die mit Maria verbunden sind, den Menschen der 70 Jahre angeboten. Dabei verwebt er die Lebensgeschichte Marias mit der Lebensgeschichte Jesu und stellt sie in den Kontext des bürgerlichen Lebens und seiner Wertmaßstäbe. Er hält den Leuten den Spiegel vor – und macht deutlich, dass die „hochverehrte jungfräuliche Gottesmutter“, würde sie heute leben, auch keine Chance hätte – genauso wenig wie ihr Sohn.
Im Zwischenspiel „die legende vom tod mariens“ heißt es:
mariens tod –
eine legende, die da hinreicht,
wohin astrophysikalische formeln nicht hinreichen
eine legende, dass wir im bilde sind.
als maria gestorben
da haben die apostel ein grab erworben
und sie hineingelegt
bekleidet mit einem hochzeitskleid
kleid gewoben aus leid
für das fest über alle fest weit
und sie haben den abschied betrauert
nach altem zeremoniell
dunkel war’s an jenem tag
nicht hell nach altem zeremoniell
und als sie nach drei tagen
zum grab kamen
sie zu salben
mit kostbarkeiten
da war das grab ein blumenbeet
das duftete nach blumen
die es auf der erde nicht gibt
blumen aus einem garten,
den auf der erde nicht gibt
sie hat sich verduftet
die schönste blume
auf dem feld der welt
maria
kein leichengeruch
kein frommer spruch
sie hat sich verduftet
maria
sie liegt in der luft
und nicht in der gruft
sie hat sich verduftet
die schönste blume
auf dem feld der welt
ein betörender duft
sie hat sich verduftet
maria
Liebe Schwestern und Brüder,
solche Worte und Bilder sind keine Dogmen. Sie haben nicht den Anspruch „geglaubt“ zu werden – im Sinne des „für wahr“-haltens“. Aber Hoffnung wollen sie wecken, die Phantasie beflügeln – die Bewunderung für Maria und das, was Gott ihr Gutes tut – und die Sehnsucht wollen solche Worte wecken, dass sich auch unser Weg beim Gott des Lebens vollendet – so wie der Weg von Maria, der ersten von uns Menschenkindern. Der einen oder dem anderen tut Maria als Begleitung und als Inspiration gut.
Die Blumen- und Kräutersträuße, die wir bei der Gabenbereitung segnen, unsere Hoffnung stärken, dass sich auch unser Weg bei Gott in seiner Welt vollendet. Ihr kraftvoller, intensiver Duft kommt vielleicht nicht aus einer anderen Welt, sondern aus den Gärten in der Pfarrei – aber der Duft kann unsere Gedanken dorthin führen, wohin Worte nicht reichen.
Noch einmal Willem Willms:
so eine wie sie
gewinnt durch den tod
neue blüte
so eine wie sie
sie lebt und stirbt
sie stirbt
und lebt.
Amen.