BRAUCHEN WIR EINEN PRIESTERSITZ? Schriftlesungen und Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis A, 5. November 2023


Der „Sitz des Mose“ in der Synagoge von Chorazin/Galiläa.
In vielen Synagogen gab es einen Sitzplatz, der eigens für die die Schriftgelehrten und Pharisäer reserviert war. In Chorazin, einer Ortschaft im galiläischen Bergland etwas oberhalb des Sees Gennesaret, fand man in der Synagoge einen solchen besonders gestalteten Sitz. Dieser ist jedoch etwa ein Jahrhundert älter, als die Synagoge selbst. Die Inschrift auf der Vorderseite erinnert an einen Juden, der den Stuhl und die nicht mehr erhaltene Bauanlage errichten ließ. Die Rückenlehne ist mit einem Rosettenmuster geschmückt. Quelle hier

Lesung
aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessalónich.

Schwestern und Brüder!
7bWir sind euch freundlich begegnet:
Wie eine Mutter für ihre Kinder sorgt,
8 so waren wir euch zugetan
und wollten euch
nicht nur am Evangelium Gottes teilhaben lassen,
sondern auch an unserem Leben;
denn ihr wart uns sehr lieb geworden.
9Ihr erinnert euch, Brüder und Schwestern,
wie wir uns gemüht und geplagt haben.
Bei Tag und Nacht haben wir gearbeitet,
um keinem von euch zur Last zu fallen,
und haben euch so das Evangelium Gottes verkündet.
13Darum danken wir Gott unablässig dafür,
dass ihr das Wort Gottes,
das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt,
nicht als Menschenwort,
sondern – was es in Wahrheit ist –
als Gottes Wort angenommen habt;
und jetzt ist es in euch, den Glaubenden, wirksam.
1 Thess 2, 7b-13

Evangelium
Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus.

In jener Zeit
1 sprach Jesus zum Volk und zu seinen Jüngern
2und sagte:
Auf dem Stuhl des Mose
sitzen die Schriftgelehrten und die Pharisäer.
3Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen,
aber richtet euch nicht nach ihren Taten;
denn sie reden nur,
tun es aber nicht.
4Sie schnüren schwere und unerträgliche Lasten zusammen
und legen sie den Menschen auf die Schultern,
selber aber wollen sie keinen Finger rühren,
um die Lasten zu bewegen.
5Alles, was sie tun,
tun sie, um von den Menschen gesehen zu werden:
Sie machen ihre Gebetsriemen breit
und die Quasten an ihren Gewändern lang,
6sie lieben den Ehrenplatz bei den Gastmählern
und die Ehrensitze in den Synagogen
7 und wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt
und die Leute sie Rabbi – Meister – nennen.
8Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen;
denn nur einer ist euer Meister,
ihr alle aber seid Brüder.
9Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen;
denn nur einer ist euer Vater,
der im Himmel.
10Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen;
denn nur einer ist euer Lehrer,
Christus.
11Der Größte von euch soll euer Diener sein.
12Denn wer sich selbst erhöht,
wird erniedrigt,
und wer sich selbst erniedrigt,
wird erhöht werden.
Mt 23,1-12

Predigt

„Der Priestersitz soll die Aufgabe und den Dienst der Leitung in schlichter Weise zum Ausdruck bringen. Er darf nicht den Eindruck eines Throns oder einer Kathedra erwecken. – Er ist so zu platzieren, dass die von ihm aus zu leitenden liturgischen Vollzüge (z. B. Eröffnungs- und Schlussteil der Messe) optisch und akustisch angemessen erfolgen können… Wenn eine durchgehende Bank für die besonderen Dienste vorhanden ist, sollte der Platz des Priesters erkennbar sein. – Der Priestersitz sollte nicht vor einem Hintergrund stehen, dessen Ausgestaltung (Farbe, Licht) vom Leitungsdienst ablenkt. Für den nichtpriesterlichen Leitungsdienst ist eine andere geeignete Sitzgelegenheit vorzusehen.“

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder,
brauchen wir hier in Herz-Jesu einen Priestersitz? Hier in Herz-Jesu und in allen anderen Kirchen?
JA – sagen die Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung von gottesdienstlichen Räumen der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2000.
JA – sagte ein junger Studierender der Sommerakademie des Liturgischen Instituts, der vor einigen Jahren hier zu Gast war.
NEIN – sage ich (nicht nur ich, aber ich auch – und habe das entsprechend so eingerichtet.)

„Das ist ganz schön klerikal“ – hat mir unser Bischof mal gesagt, augenzwinkernd, aber trotzdem ernst gemeint. „Du nimmst Dir heraus, Dinge anders zu machen, als die Kirchengesetze sie vorschreiben. Das ist auch klerikal – genau wie das, was Du anderen vorwirfst!“ Stimmt.

Aber die Begründung ist mir schon wichtig: Ich denke mir das nicht einfach aus oder gehe nur meinen Leidenschaften nach. So verstehe ich das Evangelium, das für mich über den Kirchengesetzen steht.

Schauen wir in das heutige Evangelium.

In den Synagogen stand ein „Stuhl des Moses“. Darauf saßen ursprünglich die Schriftgelehrten. Sie hatten die Bibel der Juden für die Synagogengemeinden auszulegen. Ihre Macht wuchs, als Jerusalem und mit der Stadt auch der Tempel von den Römern zerstört wurde. Damit war der religiöse Mittelpunkt des jüdischen Glaubens vernichtet. Die Macht ging auf die „Außenstellen“ über – die Synagogen. Sie wurden eine „Erfolgsgeschichte“. Es gibt sie bis heute.

Die Pharisäer waren die einzige religiöse Partei, die die Zerstörung überlebte. Damit wurden sie automatisch zu den Schriftgelehrten – und der Jesus, den Matthäus schildert, nennt daher die Schriftgelehrten und Pharisäer oft in einem Atemzug.

Jesus wirft ihnen so einiges vor: Scheinheiligkeit, mangelnde Bescheidenheit, Ehrsucht, „Titel-Geilheit“ würde man vielleicht modern sagen. Obwohl sie sich ernsthaft bemühen, den Glauben mit seinen vielen Vorschriften treu zu leben. Aber sie tun sie nicht das, wozu es die Schriftgelehrten gibt: sie helfen den Menschen nicht, durch die Hl. Schrift Gott zu finden, in Kontakt mit Gott zu sein – die Liebe und die Freude an seiner Weisung ins Herz der Menschen zu pflanzen. Stattdessen bürden sie ihnen das Gesetz auf wie eine schwere Last. Jesus nennt sie einige Verse später: Schlangenbrut und Natterngezücht – er vergleicht sie mit frisch angestrichenen Gräbern, hinter deren Mauern Fäulnis und Verwesung herrschen.

Jesus erteilt in diesem Kapitel des Matthäus-Evangeliums vielem eine Absage: den breiten Gebetsriemen und Quasten, den Ehrenplätzen bei Gastmählern und in den Synagogen, den Titeln wie „Rabbi“, „Vater“, „Lehrer“. Seine Adressaten sind allerdings nicht die Schriftgelehrten und Pharisäer. Es sind seine eigenen Jünger – und das Volk.

Es geht also um die Gefährdungen der junge Kirche und der Gemeinden: das „Unkraut“ wohnt auch in den Herzen der Besten. Und Jesus schärft ihnen ein: für die Leitungsmenschen keine besonderen Kleider, keine besonderen Titel, keine besondere Ehrerbietung – und keine Priestersitze. Meine ich.

Und dann schauen wir uns um in unserer Kirche, gerade in der katholischen, und begegnen Leitungsmenschen mit besonderen Titeln: Heiliger Vater, Pater, Abbé, Prälat, Monsignore, Protonotar (stand im letzten Amtsblatt), Eminenz, Exzellenz, Heiligkeit – in besonderen Roben und Farben, mit besonderen Requisiten, die von Träger*innen nur mit Handschuhen angefasst werden dürfen – am letzten Dienstag bei der Beerdigung von Weihbischof Alfred Kleinermeilert war einiges davon zu sehen. Von den Kostümen der Kleriker am „rechten Rand“ will ich gar nicht sprechen.

Wie passt dass denn zu unserem heutigen Evangelium? Wohlgemerkt: Jesus spricht hier nicht zu den jüdischen Pharisäern und Schriftgelehrten, sondern zu seinen eigenen Jünger*innen…

Von Kurt Marti, dem Schweizer evangelischen Pfarrer und Dichter stammt der Satz: Der Herr, den wir „duzen“, bekommen wir gepredigt von den Herren, die wir „Siezen“. (2x vortragen!)

Ich will mich aber jetzt nicht an anderen abarbeiten, was Klerikalismus ist – und wessen Klerikalismus schlimmer wiegt: meiner oder der von anderen, am anderen Rand des Spektrums. Ich will niemanden lächerlich machen oder vor anderen Haustüren kehren.

Ich will mich ehrlich fragen, ob ich mit Ihnen, mit Euch, als Leitungsmensch, hier in Herz-Jesu so umgehe, wie Paulus es im 1. Brief an die Thessalonicher beschrieben hat.

Vor 20 Jahren bin ich ins Pfarrhaus von Herz-Jesu gezogen. Seit 20 Jahren kennen wir uns jetzt – unterschiedlich intensiv und unterschiedlich lange…. In den 20 Jahren hat sich mein Engagement hier verändert – von der gelegentlichen Aushilfe zum regelmäßigen Vorsteher der Eucharistie, Prediger und Seelsorger bis hin zum „kanonischen Pfarrer“.

In Anlehnung an die Worte von Paulus frage ich mich:

  • Bin ich euch freundlich begegnet? Überwiegend Ja, würde ich sagen… Nicht immer.
  • Habe ich für euch gesorgt wie eine Mutter für ihre Kinder? Das wäre sicher übertrieben….
  • Habe ich euch nur am Evangelium teilhaben lassen oder auch an meinem Leben? Das ganz sicher… ich habe viele Geschichten erzählt….
  • Habe ich mich Tag und Nacht gemüht und geplagt und für euch gearbeitet Naja, auch das wäre übertrieben.
  • Bin ich jemandem zur Last gefallen? Den meisten sicher nicht, dem einen oder der anderen schon…

Die Bilanz ist sicher weit entfernt von „großartig“, aber andererseits auch nicht „so schlecht“….

Mit Paulus kann ich sagen: Ich danke Gott dafür, dass Ihr – auch durch meine Verkündigung – das Wort Gottes nicht nur als Menschenwort angenommen habt, sondern als Gottes Wort. Ich sehe auch, dass es in Euch, den Glaubenden, wirksam ist.

Liebe Schwestern und Brüder,

darum geht es mir. Und für all das brauche ich keinen Priestersitz und keinen Römerkragen. Ich brauche kein buntes oder weißes Messgewand, auch wenn ich gerade dieses grüne von der afrikanischen Schneiderin Jacky Obam Obam großartig finde und gern anziehe. Brauchen tue ich es nicht – und Ihr auch nicht.

Was wir brauchen ist lebendiges Miteinander – Ernst, Humor, Ehrlichkeit, Offenheit – und die Freude an der Vielfalt.

Ich danke Euch, wenn Ihr mir zuhört und schaut, ob es einen Gedanken gibt, der Euch im Glauben weiterbringt. Hier werden keine unerträglichen Lasten geschnürt – hoffe ich.

Nur einer ist, unser Vater – der Vater im Himmel. Nur einer ist unser Lehrer: Christus. Der oder die Größte von uns zeigt das im Dienst an den anderen. Erhöhen tut sich hier niemand, soweit ich das beurteilen kann – dann steht – vielleicht – einer Erhöhung durch Gott dereinst nichts im Wege.
Amen.

 

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