TRÖSTET DIE GEHEIME OFFENBARUNG? Lesung und Predigt an Allerheiligen 2023

Guter Hirt (mit Schaffell bekleidet) Häuserwand Deia/Mallorca. Foto: privat.



Lesung aus der Offenbarung des Johannes.

Danach sah ich:
Vier Engel standen an den vier Ecken der Erde.
Sie hielten die vier Winde der Erde fest,
damit der Wind weder über das Land noch über das Meer wehte, noch gegen irgendeinen Baum.
Dann sah ich vom Aufgang der Sonne her
einen anderen Engel emporsteigen;
er hatte das Siegel des lebendigen Gottes
und rief den vier Engeln,
denen die Macht gegeben war,
dem Land und dem Meer Schaden zuzufügen,
mit lauter Stimme zu:

Fügt dem Land, dem Meer und den Bäumen
keinen Schaden zu,
bis wir den Knechten unseres Gottes
das Siegel auf die Stirn gedrückt haben!

Und ich erfuhr die Zahl derer,
die mit dem Siegel gekennzeichnet waren.
Es waren hundertvierundvierzigtausend
aus allen Stämmen Israels,
die das Siegel trugen.

Dann sah ich eine große Schar
aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen;
niemand konnte sie zählen.
Sie standen vor dem Thron und vor dem Lamm,
gekleidet in weiße Gewänder,
und trugen Palmzweige in den Händen.
Sie riefen mit lauter Stimme:
Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt,
und von dem Lamm.

Und einer der Ältesten sagte zu mir:
Dies sind jene, die aus der großen Bedrängnis kommen;
sie haben ihre Gewänder gewaschen
und im Blut des Lammes weiß gemacht.
Sie stehen vor dem Thron Gottes
und dienen ihm bei Tag und Nacht in seinem Tempel;
und der, der auf dem Thron sitzt,
wird sein Zelt über ihnen aufschlagen.

Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden
und weder Sonnenglut noch irgendeine sengende Hitze
wird auf ihnen lasten.

Denn das Lamm in der Mitte vor dem Thron
wird sie weiden
und zu den Quellen führen,
aus denen das Wasser des Lebens strömt,
und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.

Offb 7,1-4.9-10.14b-17

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder,

wir stehen am Anfang des Monats November. Für viele ein herausfordernder Monat. Wir begegnen neben den aktuellen Katastrophen des Welt- und Zeitgeschehens auch unseren eigenen persönlichen Erfahrungen von Angst, Schmerz und Ohnmacht.

Viele von uns suchen in diesen Tagen TROST.

Trost. Das Wort hat oft keinen guten Klang. Es klingt nach „vertrösten“, „sich was vormachen“, „sich selbst belügen“. Und doch ist es ein wichtiger Begriff unseres Glaubens: Paulus nennt den Gott und Vater von Jesus Christus im 2. Brief an die Korinther „den Gott des Erbarmens und den Gott allen Trostes“.

Was ist Trost? Trost ist eine Erfahrung, vielleicht sogar eine Haltung. Trost löst die Erfahrung von Leid nicht auf, sondern hält sie auf Distanz.

Trost lässt weiterleben in den Situationen, in den ich nichts tun, nichts verändern kann. Trost schafft Abstand, gibt neue Kraft zum Weitergehen. Für eine Zeitlang. Bis morgen oder übermorgen. Trost ist dynamisch.

Trost kann viele Gesichter haben, verschieden für verschiedene Menschen, in verschiedenen Situationen und Zeiten. Die Natur kann uns trösten, die Musik und die Kunst, Essen und Trinken natürlich, das Kuscheln, der Spaziergang mit einem Haustier, vor allem aber die Beziehung zu Menschen, flüchtige Begegnungen oder lange Freundschaften – mit vielen Worten oder mit Schweigen. Auch das Gebet kann trösten – laut ausgesprochen, herausgeschrien oder wortlos in der Gegenwart Gottes, der alles Begreifen übersteigt. Trost ist – nach der Erfahrung von vielen großen und kleinen Heiligen – eine Gabe des Heiligen Geistes.

Ob die Schriftworte zum heutigen Fest trösten können, Trost-Kraft haben?

Der „Geheimen Offenbarung“ bin ich lange aus dem Weg gegangen, besonders heute am Fest Allerheiligen.

Die Offenbarung ist wie ein entsetzlicher Horrorfilm, ein Alptraum, der vom endzeitlichen Kampf Gottes mit Satan erzählt – alles wird kurz und klein geschlagen – am Ende siegt Gott – aber die Vernichtung ist doch gewaltig. Kein Wunder, dass sie immer wieder Kunstschaffende inspiriert hat zu schrecklichen Bildern und Filmen – vom Ende der Welt und des Lebens.

Erschreckend ist, dass sich die Realität offensichtlich immer mehr der Fiktion annähert: Zerstörung der Umwelt, Kriege und Terror, Tote überall – so viele, die aus „großer Bedrängnis“ kommen, wie es in der Lesung hieß, deren Gewänder rot waren vom Blut.

Man muss schon sehr genau hinschauen, hinhören, einmal, zweimal, dreimal – um in diesen Horrorszenarien die Hoffnung und den Trost zu entdecken, den diese Worte seinerzeit gespendet haben. Aber dieses Hoffnungs- und Trostpotential gibt es.

Johannes auf der Insel Patmos greift in seiner „Offenbarung“ die Bilder der jüdischen Bibel auf. Er überträgt sie auf die Situation der Christ*innen im römischen Reich am Ende des 1. Jahrhunderts. Sie erlebten einen tyrannischen römischen Staatsapparat – und darüber hinaus die Erfahrung von Verfolgung und Tod, weil ihr Glaube als staatsgefährdend erlebt wurde.

Apokalyptische Geschichten und Bilder entstehen vor allem da, wo Menschen eine tiefe Ohnmacht erleben, eine übermächtige Gewalt und Brutalität, gegen die sie nicht ankämpfen können. Gerade da entsteht die Sehnsucht, vielleicht das Einklagen eines Rechts, dass es am Ende doch Gerechtigkeit geben muss – und geben wird.

In unserem Abschnitt sind es zwei Gruppen von Menschen, die gerettet werden: es sind die 144.000 aus dem Volk Israel – denen das Siegel der Rettung aufgedrückt wird, 12.000 aus jedem Stamm – sie werden einzeln aufgeführt, das haben wir eben nicht gelesen…

Die Ereignisse in Israel geben dem Text eine ungeahnte Aktualität: in allen Bedrohungen durch den Terror von Hamas und Hisbolla und den Drohungen und Verwünschungen aus Teheran und anderen arabischen Hauptstädten sagt dieser Text: Am Ende, ganz am Ende, wirst du leben, Israel, – Du wirst den Terror überleben….

Und die zweite Gruppe, die genannt werden, sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen: eine ungezählte Zahlaus allen Nationen, Stämmen, Völkern und Sprachen, natürlich auch aus Palästina und dem Gazastreifen. Ihre Bedrängnis können wir nur erahnen. Es kann alles sein: Gewalt, Krieg, Katastrophen, Hunger, Durst, Krankheit. Die „Palmzweige in den Händen“ lassen auf einen gewaltsamen Tod „um des Glaubens willen“ schließen, sicher sind auch viele Christinnen und Christen darunter, die sich dem römischen Staatsterror widersetzt haben. Ihr Tod, ihre Hingabe sind nicht das letzte Wort über sie. Das letzte Wort ist LEBEN. Sie werden leben!

Merkwürdig, fast schon absurd, wird diese Aussicht in einem Bild ausgedrückt: diejenigen, die aus der großen Bedrängnis kommen, tragen blutverschmierte Gewänder – Ausdruck ihres Leidens. Und sie waschen diese Gewänder im Blut des Lammes – und am Ende sind sie „weiß“. Sie bringen diese Erfahrung mit Gott in Verbindung und dem Lamm: Von Gott und dem Lamm kommt die Rettung! Das Lamm hat ihr Schicksal geteilt – und wurde von Gott bestätigt. Mit Macht ausgestattet. Darin steckt die Hoffnung. Der Trost.

Wir können diese Bilder nur auf uns wirken lassen – und darin den Morgen der Auferstehung erahnen….

Das Besondere an der Offenbarung ist: die Herrschaftsverhältnisse kehren sich am Ende um: das Lamm, das getötet wurde, steht mitten vor dem Thron und herrscht wie ein König, der endlich Gerechtigkeit und Frieden und Wohlergehen für alle aufrichtet.

Das Lamm sorgt für die Seinen, die anderen Schafe, wie ein guter Hirt: es führt sie auf fette Weide – und zu sprudelnden Wasserquellen – und in den Schatten, wo die sengende Hitze nicht mehr quält.

Liebe Schwestern und Brüder,

zwischen all der Gewalt und Brutalität und Zerstörung der Geheimen Offenbarung leuchten Bilder vom Ende auf, die trösten – die das Leid auf Distanz halten, der persönliche und das globale Leid.

Es wird für uns gesorgt – vom Lamm und von Gott selbst. Er wird sein Zeit aufschlagen über denen, die aus der großen Bedrängnis kommen.

Einige von Euch und Ihnen haben es schon gehört – bei der Mitgliederversammlung von sredna Ende September. Seit einigen Tagen stehen die Infos auch auf der Website.

Wir wollen zum Barbara-Tag dort drüben vor der Barbarastele ein „Segenszelt“ errichten, einen Raum schaffen, wo der Segen Gottes persönlich und durch Menschen vermittelt erlebt werden kann.

Auf der Wüstenwanderung war es das Zelt der Offenbarung, in dem die Gesetzestafeln vom Sinai aufbewahrt und mitgetragen wurden. Sie gaben dem Volk Sicherheit und Trost – in schwieriger Zeit.

Unser Segenszelt ist inspiriert vom diesem Offenbarungszelt – aber auch von den Hütten, die Petrus bauen wollte auf dem Berg der Verklärung. Und als ich vorgestern unseren Abschnitt aus der Offenbarung las, dachte ich: ja, auch dieses Zelt, tröstet: 
Gott spannt es aus über die, die aus großer Bedrängnis kommen.
Sicher auch über uns! Amen.

Entwurf für das Segenszelt an St. Barbara, Hans Rams (2023)

Fürbitten

Gott – Trost und Erbarmen,

Hoffnung und Liebe

für heute und morgen –

 

für die kleinen und großen Heiligen des Alltags danken wir.

Der Alltag, so sagt es Teresa von Avila,

ist der Ort, wo wir uns bewähren müssen.

 

Wir danken für alle,

die im Alltag von Ehe und Familie

liebevoll, vertrauend und wertschätzend

miteinander und mit anderen umgegangen sind.

A: Lass uns in ihre Fußstapfen treten.

 

Wir danken für alle,

die im Alltag von Arbeit und Beruf

Zeichen der Solidarität und der Gerechtigkeit gesetzt haben,

die auch ihre Kolleg*innen und deren Bedürfnisse im Blick hatten.

A: Lass uns in ihre Fußstapfen treten.

 

Wir danken für alle,

die sich im Alltag des gesellschaftlichen Miteinanders

für Gleichberechtigung, Inklusion und Menschlichkeit

eingesetzt haben.

A: Lass uns in ihre Fußstapfen treten.

 

Wir danken für alle,

die in ihrem persönlichen Alltag

die Sorgen und Nöte der fernen Nächsten nicht übersehen,

der Terroropfer in Israel, der Flüchtenden im Gazastreifen,

der Kriegsopfer in der Ukraine,

der Opfer von unterdrückerischen Regimen

in so vielen Staaten der Erde.

A: Lass uns in ihre Fußstapfen treten.

 

Wir danken für alle,

die im Alltag von Not, Krankheit, Leid und Tod

für andere da waren und sind –

beruflich, ehrenamtlich, aus Liebe und Freundschaft.

A: Lass uns in ihre Fußstapfen treten.

 

Gott – Trost und Erbarmen,

Hoffnung und Liebe,

wir danken dir für die Menschen,

die aus deinem Geist und deiner Kraft gelebt

und ihren Alltag bestanden haben.

Hilf auch uns, unseren Weg zu gehen

Von heute nach morgen bis in deine Ewigkeit.

Amen.

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