WACH SEIN! – 1. ADVENT am 2. Dezember 2023

 

Introitus

Zu Dir, Herr, erhebe ich meine Seele.

Mein Gott, dir vertraue ich.

Lass mich nicht scheitern, lass meine Feine nicht triumphieren. Denn niemand, der auf dich hofft, wird zuschanden.

Lied zu Beginn: Tauet Himmel den Gerechten GL 747,1.4

 Begrüßung

 Liebe Schwestern und Brüder,

zum 1. Advent 2023 begrüße ich Sie und Euch sehr herzlich.

Tradition und Experiment berühren sich:

Der lateinische Introitus, das vertraute Trierer Adventslied – und der ungewöhnliche „Adventskranz“.

Einige Jahre standen die Stämme draußen vor der Tür.

In diesem Jahr zeigen sie uns den Weg durch den Advent,

hier drinnen in der Kirche.

Sie sind kein Kranz, nicht das gefällige Rund.

Sie sie eine Linie, ein Weg: mit Anfang und Ende.

Wir glauben nicht an die ewige Wiederkehr Desselben,

den ewigen Kreislauf der Natur.

Wir glauben an einen Gott der Geschichte –

der einen Anfang gemacht hat – am Tag der Schöpfung,

wann und wie auch immer.

Und der allem ein Ende setzen wird – das wir nicht kennen.

Er hält uns in seinem Wort bis ans Ende dieser Welt.

Er ruft uns heim in sein Licht. Erbarme dich, Herr!

Kyrie: Der in seinem Wort uns hält GL 164

 

Tagesgebet

Herr, Herrscher über Zeit und Ewigkeit.

Wir danken dir für den Beginn des Adventes.

Es ist die Zeit der Wachsamkeit und des Betens,

in der wir uns auf deine Wiederkunft vorbereiten.

Nimm die Schläfrigkeit und die Angst von uns,

nimm die Eile und die Sorge um Zweitrangiges,

dass wir hellwach deiner Ankunft entgegengehen.

Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn.

Evangelium – Mk 13

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern:
33Gebt Acht
und bleibt wach!
Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.
34Es ist wie mit einem Mann,
der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen:
Er übertrug die Vollmacht seinen Knechten,
jedem eine bestimmte Aufgabe;
dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein.
35Seid also wachsam!
Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt,
ob am Abend oder um Mitternacht,
ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen.
36Er soll euch, wenn er plötzlich kommt,
nicht schlafend antreffen.
37Was ich aber euch sage,
das sage ich allen:

Seid wachsam

Predigt

Liebe Schwestern und Brüder,

mit bürgerlichem Namen hieß sie Maria Ilva Biolcati. 1939 wurde sie geboren in Goro, zwischen Ravenna und Venedig. Seit den 60er Jahren wurde sie in Italien bekannt. Die überzeugte Sozialistin sang Lieder von Edith Piaf und von Bert Brecht. In den 70er Jahren wurde sie auch in Deutschland bekannt. 2021 ist sie in Mailand gestorben – die Sängerin Milva.

1979 sang sie das aufwühlende Lied „Wir müssen wach sein!“

 Wir müssen wach sein
Aus Träumen hochgeschreckt
Hellwach sein
Von Argwohn geweckt
Wir müssen wach sein

Wir müssen wach sein
Um noch durchzuseh’n
Wir müssen wach sein
Und fall’n uns auch die Augen zu
Hellwach sein
Hellwach sein – ich und du
Wir müssen wach sein

Wir müssen wach sein
Um nicht durchzudreh’n
Wir müssen wach sein
Trotz herrschender Zufriedenheit
Hellwach sein
In dieser eingeschlaf’nen Zeit
Wir müssen wach sein

Wir müssen wach sein
Um nicht stillzustehn
Wir müssen wach sein
Wir schliefen schon zu lang
Hellwach sein
Sonst wird uns angst und bang
Wir müssen wach sein

Wir müssen wach sein
Um das einzuseh’n
Wir müssen wach sein
Was man uns auch in die Augen streut
Hellwach sein
Auch wenn viele das nicht freut
Wir müssen wach sein

Und nicht zu schwach sein
Um noch durchzuseh’n
Wir müssen wach sein
Aus Träumen hochgeschreckt
Hellwach sein
Von Argwohn geweckt
Wir müssen wach sein

Wir müssen wach sein
Um noch durchzuseh’n
Wir müssen wach sein

Was man uns auch in die Augen streut
Hellwach sein
Auch wenn viele das nicht freut
Wir müssen wach sein

Wir müssen wach sein
Um noch durchzuseh’n

Ich war damals im Priesterseminar – und hatte den Text ausgedruckt und auf das Bücherregal in meinem Zimmer geklebt. Irgendwie hatte ich den Eindruck, die Befürchtung, dass wir da einschlafen –

in der heilen, sorgenfreien Welt des Seminars, wo für uns gekocht und geputzt wird, jedenfalls die Gemeinschaftsräume, wo wir gute Freunde haben, und ohne Mühe auf unser Studium konzentrieren können – oder eben auch nicht und einfach ins Schwimmbad gehen…

Wo wir uns mit Sachen und Themen beschäftigen, von denen eigentlich nichts abhängt – kein Leben, keine Zukunft, keine Existenz… da müssen wir wach sein… Hellwachsein.

Immer wieder habe ich die Schallplatte gehört – in starker Lautstärke, bis irgendein Nachbar an die Tür klopfte und fragte, ob es nicht auch ein bisschen leiser gehe – mit dem Wachsein.

Das Lied hat sich tief eingeschrieben in mein Bewusstsein, der Text mehr noch als die Musik.  dessen Text sich tief in mein Bewusstsein eingeschrieben hat, noch mehr als die Melodie.

 

Es ist das erste, was mir einfällt, wenn ich das Evangelium lese oder höre, das für den 1. Advent vorgesehen ist: „Gebt acht und bleibt wach!“ Die Versuchung ist groß, einzuschlafen, abzutauchen aus der Wirklichkeit – sich dem nicht zu stellen, was um uns herum oder in uns passiert. Einmal wenigstens, in der Advents- oder Vorweihnachtszeit. Einmal wenigstens NICHT wachsam sein – NICHT hypersensibel. Einmal abschalten, Plätzchen genießen – und Glühwein und die heile Welt des Weihnachtsmarktes oder des Wohnzimmers. Einmal nur….

Ich weiß nicht, ob MILVA etwas dagegen gehabt hätte – EINMAL nicht wachsam zu sein… als Sängerin, als Italienerin, EINMAL nur sich den schönen Dingen des Lebens zuzuwenden… Ich glaube, noch nicht mal JESUS hätte etwas dagegen gehabt. Schwierig wird es ja dann, wenn aus dem „einen Mal“ die Regel wird – eine Lebenshaltung. Kopf in den Sand, oder Augen und Ohren zu. Was interessiert mich der Rest der Welt…

Da müssen wir dann schon wach sein – auch uns selbst gegenüber.

In diesem Jahr, als ich heute morgen MILVA hörte zur Einstimmung auf den ersten Advent, spürte ich nach den vertrauten Worten und der vertrauten Melodie ein gewisses Unbehagen. Eine Leere.

MILVA mahnt die Haltung des Wachseins an, JA, und sicher zurecht. Aber sie sagt eigentlich nicht, warum wir wach sein sollen. Was wir denn nicht verpassen sollen… oder wen.

Wo müssen wir durchsehen – und was sehen wir dann? Wo dürfen wir nicht durchdrehen? Was müssen wir einsehen?

Auf diese Frage gibt MILVA keine Antwort.

So machte ich mich auf die Suche nach einem anderen Gedicht, ebenfalls geschrieben von einer Frau. Sie wurde 20 Jahre vor MILVA geboren, nicht in Italien, sondern in der Schweiz. 10 Jahre vor MILVA ist sie gestorben. Ihr Leben war der totale Gegensatz zum der italienischen Sängerin. Sie war eine Ordensfrau, die ihr Leben lang in einem strengen Kloster lebte. Ihr ganzes Leben lang hat sie gebetet und gearbeitet – nach der Regel des Heiligen Benedikt und gedichtet: Schwester Silja Walter. Einige ihrer Lieder singen wir auch im Gottesdienst – zum Beispiel das Lied „Eine große Stadt ersteht“.

 

Silja Walter hat ein Gedicht geschrieben unter der Überschrift „Kloster am Rande der Stadt“. Da heißt es:

Jemand muss zuhause sein,
Herr,
wenn du kommst.
Jemand muss dich erwarten,
oben auf dem Berg
vor der Stadt.

Jemand muss nach dir Ausschau halten
Tag und Nacht.
Wer weiß denn, wann du kommst?

 

Jemand muss wachen
unten an der Brücke,

um deine Ankunft zu melden,
Herr,
du kommst ja doch in der Nacht
wie ein Dieb.

Wachen ist unser Dienst,
wachen.
Auch für die Welt.
Sie ist so leichtsinnig,
läuft draußen herum
und nachts ist sie auch nicht zuhause.
Denkt sie daran,
dass du kommst?
Dass du ihr Herr bist
und sicher kommst?

 Herr,
durch meine Zellentüre
kommst du in die Welt
und durch mein Herz
zum Menschen.
Was glaubst du, täten wir sonst?

Wir bleiben, weil wir glauben.
Zu glauben und zu bleiben
sind wir da –
draußen
am Rande der Stadt.

Herr,
jemand muss dich aushalten,
dich ertragen,
ohne davonzulaufen.
Deine Abwesenheit aushalten,
ohne an deinem Kommen
zu zweifeln.
Dein Schweigen aushalten
und trotzdem singen.
Dein Leiden, deinen Tod mitaushalten
und daraus leben.

Das muss immer jemand tun
mit allen anderen.
Und für sie.

Und jemand muss singen,
Herr,
wenn du kommst,
das ist unser Dienst:
Dich kommen sehen und singen.

Weil du Gott bist.
Weil du die großen Werke tust,
die keiner wirkt als du.
Und weil du herrlich bist
und wunderbar wie keiner.

 

Ihr Lieben,

DIESE Wachsamkeit hat eine Richtung, einen Sinn, ein Ziel. Da kommt jemand. Der Mann, der sein Haus verließ und auf Reisen fing. Der Bräutigam. Gott.

Für diesen/diese JEMAND lohnt es sich, wach zu bleiben. Wachsam zu sein. Das Nicht-Kommen auszuhalten und dennoch genug Öl in den Lampen zu haben. Öl der Sehnsucht.

 

Das ist die Wachsamkeit des Advents. Sie richtet sich auf den, der wiederkommt – auf den Wolken des Himmels, am Ende unseres Lebens, am Ende der Welt.

Wahrscheinlich können wir ihn auch auf dem Weihnachtsmarkt erwarten, auch im kuscheligen Wohnzimmer, im stilvollen Restaurant mit leckeren Speisen – es muss nicht immer und nicht nur die kalte Kirche sein. Nur fällt es da wohl etwas schwerer, wachsein, hellwachsein, noch durchzusehn und nicht durchzudrehen.

Wachsein, hellwach sein.

Ihn kommen sehen – und singen!

Gesang: Wachet auf, ruft uns die Stimme GL 354

Und dann gibt es zum 1. Advent 2023 ein neues Gewand….
Die afrikanische Textilkünstlerin und Designerin jacky Obam Obam aus Remagen-Unkelbach hat uns in dunkler Corona-Zeit schon ein wunderbares grünes lebensfrohes Gewand gemacht – es hatte seinen ersten Einsatz in einem Gottesdienst unter Corona-Regeln am 13. Februar 2021: hier gibt es Bilder und Texte: Sommerwind
Nun waren es die gedeckten, dunkeln Farben des Advents, die dem Gewand eine bestimmt Ausstrahlung verleihen sollte. Die Künstlerin konnte aber nicht bei den Vorgaben bleiben: schlicht, einfach, zurückhaltend – das ist nicht Jacky. So hat sie ein ausstarkes Gewand geschaffen, das auf den ersten Blick vielleicht ein wenig übefordert – beim längeren Hinschauen und Nachdenken wird einem deutlich, wie sehr die Gestaltung ein zentrales Motiv des Advents aufgreift: das Blühen.
„Die Steppe und das Ödland sollen blühen“ (Jes 35), „Da haben die Dornen Rosen getragen“ (Maria durch ein Dornwald ging), Barbarazweige blühen an Weihnachten…
Gerade die älteren Gottesdienstbesucher*innen sind fanziniert: „So eine Freude!“ Wir dürfen gespannt sein, welche Kraft das Gewand entfaltet. Danke, Jacky!

 

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