21:00 Lebenszeichen aus der Trierer Aidshilfe

Ein „Lebenszeichen“ aus der Aidshilfe jetzt in der Coronakrise zu geben, fällt mir gar nicht so leicht. Um es mal mit Björk zu sagen: „It’s oh so quiet…“

Die Aidshilfe bietet seit Anfang der Woche neben telefonischer und mailgestützter Beratung auch wieder persönliche Gespräche an, natürlich unter Einhaltung strenger Hygienemaßnahmen. Aber HIV, Hepatitis oder Syphilis sind heute einfach nicht die Themen, die die Menschen beschäftigen.

Irgendwie zwar verständlich, aber trotzdem nicht ganz unproblematisch. Denn auch wenn unsere Präventionsarbeit weitgehend stillsteht, findet Sexualität doch weiterhin statt!

Gleich in den Nachbarbüros ist die Situation eine ganz andere. Meine Kollegin Tonja, die unter anderem für unsere HIV-positiven Klient_innen Ansprechpartnerin ist, hat alle Hände voll zu tun. Die Verunsicherung durch Corona ist groß und entsprechend groß ist auch der Bedarf an Gesprächen und die Zahl der Fragen, die ihr gestellt werden… auch wenn die bislang wohl niemand mit Gewissheit beantworten könnte. Irgendwie werden wir gerade ungeplant auch zu Corona-Expert_innen, zumindest einmal gefühlt.

Katja, Zuhal und Manuela, die bei uns die Sexarbeiterinnen unterstützen, stehen vor ganz anderen Herausforderungen. Ihre Klientinnen haben von gestern auf heute durch Corona sämtliche Einnahmen verloren – zumindest die legalen. Ob die ein oder andere trotz Verbots vielleicht weiterhin ihrer Arbeit nachgeht? Wir wissen es nicht, auch wenn wir es vielleicht vermuten. „Von der Sexarbeit zum Sozialfall“ titelte eine österreichische Zeitung jüngst, andere Medien haben von „Sex ohne Gummi für 10 €“ berichtet. Aber darüber reden die Frauen nicht einmal mit uns.

Wir haben zusammen mit Kooperationspartner_innen etwa aus dem Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen Geld- und Lebensmittelspenden zusammengetragen, um die Frauen zumindest mit dem Notwendigsten zu unterstützen. Es ist bewegend zu sehen, wie viele Menschen bereit waren sich mit den Sexarbeiterinnen zu solidarisieren. Ein großer Dank an alle, die mitgeholfen haben!

„It’s oh so quiet…“ in meinem Arbeitsfeld, der Prävention. Eigentlich sollte ich jetzt in Schulen unterwegs sein und über HIV, Chlamydien und HPV informieren. Ich sollte unsere Aktionen zu IDAHOBIT und CSD planen, zusammen mit meinem Kollegen Vincent vom SCHMIT-Z LSBTIQ*-Beratung anbieten und mit den Kolleginnen vom Gesundheitsamt niedrigschwellige HIV-Testaktionen durchführen. Eigentlich! Denn nichts davon findet statt. Nichts davon ist möglich in Corona-Zeiten.

Realistisch betrachtet ist unsere Chance auf schulische Aufklärungsarbeit selbst im nächsten Schuljahr gering. Nach all den Unterrichtsausfällen steht einfach „Wichtigeres“ auf dem Programm als HIV-Prävention. So ein bisschen sehe ich mich gerade als Don Quichotte, nur sind meine Windmühlen binomische Formeln, Inhaltsanalysen und englische Grammatikregeln.

Aber hat es nicht auch enorme Auswirkungen für unsere Gesellschaft, wenn sexualpädagogische Bildungsarbeit erst einmal auf der Strecke bleibt? Oder wenn die Förderung von Akzeptanz und Solidarität mit LSBTIQ*, Sexarbeiter_innen, Drogengebraucher_innen, Refugees usw. einfach mal auf „irgendwann nach Corona“ verschoben wird?

Was waren wir stolz, als wir in den letzten Jahren sinkende HIV-Neuinfektionszahlen verkünden konnten! Durch häufigere und regelmäßigere Testungen konnten Infizierte schneller in Behandlung kommen und waren dadurch nach kurzer Zeit auch nicht mehr infektiös.

Und heute? Wer sich zurzeit auf HIV testen lassen will, hat schlechte Karten: Das Gesundheitsamt hat sein Testangebot bis auf Weiteres eingestellt. Der einzige zurzeit verfügbare anonyme Test ist der Selbsttest, der in Apotheken und der Aidshilfe verkauft wird. Wer möchte, kann ihn auch direkt bei uns vor Ort durchführen, in Anwesenheit von und begleitet durch eine_n Berater_in. Aber die wenigsten kennen dieses Angebot überhaupt oder haben es in Zeiten von Corona wirklich auf dem Schirm.

Corona wird uns wohl noch mindestens bis Jahresende begleiten, wahrscheinlich noch darüber hinaus. Natürlich können und werden wir bis dahin nicht einfach die Hände in den Schoß legen und der „guten alten Zeit“ vor Covid-19 nachtrauern.

Können wir unser Präventionskonzept für Jugendliche neu ausrichten und ein adäquates online-Angebot für das Homeschooling aufbauen? Und sind die Schulen bereit sich auf dieses Experiment einzulassen? Können wir trotz Corona in den nächsten Monaten unsere Testaktionen wiederaufnehmen oder sogar unsere Testangebote weiter ausbauen? All das sind Fragen, die uns aktuell beschäftigen.

Steckt im Zwang unsere bisherige rein „analoge“ Arbeitsweise zu hinterfragen, nicht auch eine riesige Chance? Ist es nicht sogar manchmal heilsam seine Komfortzone verlassen zu müssen? Haben wir aus den Erfahrungen mit der HIV-Pandemie nicht so manches gelernt, was helfen kann als solidarische Gesellschaft auch durch die Corona-Zeiten zu kommen?

Ich bin nun doch selbst überrascht von all den Lebenszeichen, die ich aus meiner Arbeit senden kan n… auch wenn sie aktuell noch leise sind.

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