Finissage: Würdig!!! ICH | DU | WIR – eine Choreographie zur Ausstellung

Finissage: Würdig!!! ICH | DU | WIR – eine Choreographie zur Ausstellung
Sonntag, 13. Juni 2021, 17 Uhr
Herz Jesu Kirche, Trier-Süd
(Ecke Friedrich-Wilhelm-Str./Nikolausstr.

Die Finissage zur Ausstellung Würdig!!! ICH | DU | WIR mit den Königinnenfiguren von Ralf Knoblauch finden im Rahmen eines Wortgottesdienstes statt und stellt sich die Fragen: Was bleibt nach einer Ausstellung, die berührt und Fragen aufgeworfen hat? Was bleibt nach den Einblicken, die uns Menschen geschenkt haben, in deren Arbeitsfeld Würde eine grundlegende Rolle spielt? Was bleibt nach atemberaubenden, erschütternden und provokanten Performances zum Thema Würde? – Es bleiben Fragen, ein Loslassen und es bleibt ein Thema, das sredna herzjesu so schnell nicht loslässt. Christin Reinartz und Sergio Mel choreografieren für den Abschluss der Veranstaltung zwei Solo und ein Duett, die den Namen der Ausstellung tragen: Würdig!!! ICH | DU | WIR

 Fotos: Bohumil Kostohryz

Für Christin Reinartz ist Würde kein Substantiv, sondern ein Verb, das Prozesse bezeichnet: „Achtgeben! Aufpassen! Begleiten! Darin drückt sich für mich Würde aus. Jemanden Würde zu verleihen ist ein Prozess der Konfrontation und familiärer oder freundschaftlicher Beziehung zugleich. Würde verleihen, ist ein Prozess des Voneinanderlernens. Dahinter steckt eine gewisse Pädagogik: Lernen am Modell. Wenn ich als gutes Beispiel vorangehe und zeige, wie ich behandelt werden will, wird mir Würde zuteil, gerade dadurch, weil ich den anderen würdig behandele. Gleichzeitig ist Würde aber auch ein Herauslösen aus den Lernbeziehungen, am Ende des Prozesses steht das Ziel und die Hoffnung, dass jeder Mensch eigenständig, auf eigenen Entscheidungen fußend würdig leben kann.“

Selbstbestimmtheit ist für Christin Reinartz ein Ziel von Würde, dabei reflektiert sie, dass Autonomie und Verworfenheit auf Anderen nie voneinander gelöst werden können: „Menschen sind immer aufeinander angewiesen, aber Würde entsteht gerade dann, wenn diese Verworfenheit auf den anderen darin endet, dass man ihn loslässt und seine Autonomie als Vervollkommnung menschlicher Beziehungen und Unverfügbarkeit anerkennt.“

Für Sergio Mel wird diese Frage zu einer ethischen: „Ich frage mich nach den Umständen, wie mein Leben gelingen kann. Treffe ich die richtigen Entscheidungen? Wie kann ich einen ehrliches und würdiges Leben führen mit all den Unterstützungen und Veränderungen, die ich in meinem Leben erfahre? Habe ich tatsächlich die Wahl in dieser Welt, mit all den Menschen, die mich beeinflussen und den Veränderungen, denen ich ausgeliefert bin, würdig zu leben?“

Diese Fragen bilden das Fundament für die Choreografie WÜRDIG! ICH | DU | WIR: Während Christin Reinartz Solo in seiner Bewegungsarbeit mit Schutz, Begleiten und Achtgeben an die Beziehung zwischen Mutter und Kind erinnern werden, um Bindung und Beziehung als Grundpfeiler von Würdeverleihen sichtbar, wird im Duett mit Sergio Mel Erwachsenwerden zum Thema. Es geht um das Kopieren von Bewegungen, das in Analogie zu Lernen, Vermittlung von Normen und Werten steht. Fast möchte man meinen, es gehe darum das Idealbild funktionierender Beziehungen und Gesellschaften darzustellen. Kurz bevor man sich die Frage stellt, ist das nicht Manipulation, geschieht das Unerwartete: das Loslassen. Das Duett löst sich, erkennt die Autonomie des anderen an und der Andere, der vorher noch Lernender war, ist auf sich selbst verworfen. Sergio Mels Solo sucht nach einem ethischen Fundament in einer Welt voller Abhängigkeiten und Veränderungen: Er tanzt in einem Quadrat, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, nur oben und unten stehen als Fluchtpunkte zur Verfügung. Dabei sucht er tänzerisch wortwörtlich nach einem Stand-Punkt, welche Ethik es zulässt zu sagen: Würdig! ICH| DU | WIR

Die Choreografie steht sinnbildlich für den Abschied der Ausstellung aus der Herz Jesu Kirche: Neun Wochen standen die Königinnen und Könige als Exponate im Kirchenraum, erzählten ihre Geschichte von Würde, hörten den Besucherinnen und Besuchern zu. Wir lernten neue Standpunkte kennen und nun müssen wir loslassen und uns verabschieden. Würde so haben wir über die letzten Wochen gelernt, ist kein Dogma, es ist kein ewiger Gegenstand: Er begründet sich in der unverfügbaren Autonomie des anderen. Würde wird immer dann verletzt, wenn wir über die Autonomie des Anderen verfügen wollen. Würde ist nicht unantastbar, sonst wäre sie kein schützenswertes Gut. Würde wird immer dann veräußert, wenn wir den anderen marginalisieren und unsichtbar machen. Zwischen Schützen und Loslassen liegt die Dynamik, die Würde ausmacht. Mit unserer Finissage müssen wir auch die Königsfiguren unserer Ausstellung loslassen, auch wenn uns das Thema Würde nicht mehr loslassen wird.

– Marc-Bernhard Gleißner

Infobox

Christin Reinartz begann ihre berufliche Ausbildung 1999 an der staatlichen Ballettschule Berlin. 2008 bis 2015 hat sie an verschiedenen Theatern in Deutschland gearbeitet. Seit 2015 arbeitet Christin Braband als freischaffende Tänzerin und Tanzpädagogin (Bachelor in Kindheitspädagogik).

Sergio Mel wurde in Brasilien geboren, wo er lange als Tänzer und Choreograf gearbeitet hat, bevor ihn seine beruflichen Wege u. a. nach China führten. Er arbeitet als multimedialer Performer und beherrscht verschiedenste Tanztechniken wie Capoéira und Noveau Cirque. Sergio Mel  lebt seit 2015 in Luxemburg.

Eine Antwort auf „Finissage: Würdig!!! ICH | DU | WIR – eine Choreographie zur Ausstellung“

  1. Nach dieser tief berührenden, wieder alle Sinne ansprechenden Verabschiedungsfeier, sind die König*innen nach 58 Tagen in ihre Heimat zurückgekehrt. Bald schon werden sie wieder auf ihre nächste Reise gehen, als Botschafter*innen des Friedens und der unverlierbaren und doch so vielseitig bedrohten Menschenwürde. Erneut werden sie in ihrer einfachen, stillen und doch so ausdrucksvollen Weise viele Betrachter in ihren Bann ziehen und vielleicht ihr Denken zu erneuern.

    Alles, im Zusammenhang der Ausstellung „Würde!!! Ich/Du/ Wir“ fand ich denkwürdig! Alle Happening & Soup-Veranstaltungen waren sehr bereichernd und die Soups to go mit Brot in Tüten vielfältig und stets sehr lecker. Sie boten auch die Gelegenheit, sich zuhause in aller Ruhe noch einmal das Erlebte zu vergegenwärtigen.

    Dass coronabedingt alle Angebote in einen Gottesdienst stattfinden mussten, darin sah ich einen Vorteil. Wir haben nun einmal den wunderbaren Gott, der unser Leben kennt, uns liebt und uns alle annimmt, auch mit unsern schwierigen oder gar schrägen Seiten.

    Ich kann gar nicht sagen, was mich am meisten angesprochen. Die einzelnen Performances mit Tanz, Schauspiel, Sprechchor, die Musik, die äußerst interessanten Sichtweisen der Gäste oder der anderen Gruppen, wie queeres Nachtgebet, San‘t Egidio, kfd …, die sich ebenfalls miteinbrachten. Über jedes der Angebote könnte ich voller Begeisterung schreiben, weil ich dadurch eine so große Bereicherung und zusätzliche Weitung meines Herzens erfahren.

    Ich kann aber wohl sagen, woran ich am meisten geknabbert, was mich am nachdenklichsten zurückließ: Bisher hatte ich freiwillige Sexarbeiterinnen nicht mit Würde in Verbindung gebracht. Und daher hat mich ihr Berufskampf, um das Recht als Dienstleistungsberuf anerkannt zu werden gar nicht interessiert und natürlich noch viel weniger, dass sie nicht bevormundet werden wollen von Seiten unseres Staates, da sie selbst am besten wissen, was für sie gut ist. Mir wurde klarer als je zuvor: Auch Sexarbeiterinnen sind Menschen, mit den gleichen Bedürfnissen nach Achtung, Wertschätzung, Zuwendung, Gemeinschaft, Geborgenheit, wie wir alle; sehr schlimm, dass sie zu den Ausgegrenzten unserer Gesellschaft gehören.

    Da fällt mir eine Geschichte ein, die mir eine Freundin erzählte: Als junge Mutter ging sie mit ihrem Sohn nach dem Kindergarten immer auf den Spielplatz im Palastgarten. Sie setzten sich immer auf die gleiche Bank, auf der schon eine Frau saß, denn diese Plätze blieben stets unbesetzt. Ihr kleiner Sohn fasste Zutrauen zu dieser Frau, sie plauderten und lachten miteinander. Eines Tages schenkte ihr ein Bild, das er eigens für sie gemalt hatte.

    Als die Frau gegangen war, umringten die andern Besucher die Mutter und meinten, im Interesse des Kindes solle sie diese Verbindung verbieten, sie sähe doch, was das für eine sei. Meine Freundin antwortete, dass der Beruf für sie nicht wichtig, sie alle seien doch sicher auch auch mehr als ihr Beruf.
    Auf einmal kam die Frau nicht mehr. Erst Jahre später traf meine Freundin zufällig in der Stadt auf sie. Die Frau nahm aus ihrer Handtasche, eine sorgfältig gefaltete, bereits sehr abgegriffene Kinderzeichnung und sagte, diese habe sie getragen, auch als sie völlig am Ende gewesen sei.

    Herzlichen Dank an das unermüdliche und so einfallsreiche Sredna-Team, das für diese Ausstellung wieder keinerlei Mühen und Einsatz gescheut hat und dass es möglich ist, in einer katholischen Kirche ein solches Rahmenprogramm anzubieten!

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