Zum Evangelium Joh 10,1-10
Das Bild vom Guten Hirten hat diesem Sonntag den Namen gegeben. Aber wenn wir dem Gleichnis Jesu zuhören – im 10. Kapitel des Johannesevangeliums, dann identifiziert sich Jesus zuerst nicht mit dem Hirten, sondern mit einer Tür. Also ist heute auch der „Sonntag von der Guten Tür“. Zugegeben, das klingt seltsam.
Trotzdem sagt Jesus gleich zweimal, dass er die Tür sei: „Ich bin die Tür zu den Schafen.“ Und: „Ich bin die Tür, durch die ihr zur Rettung geht, zur guten Weide, zum Leben in Fülle.“
Was Jesus wohl damit meint, dass er „die Tür“ ist? Diese Frage ist nicht unberechtigt. Jesus scheint damals schon ähnliche Fragezeichen in den Köpfen seiner Zuhörer*innen geweckt zu haben. Es hieß ja, dass sie dieses Gleichnis auch nicht verstanden haben – wie möglicherweise die meisten von uns. Es ist eine Rätselgeschichte. Heute würde man vielleicht sagen: Ein Quiz. Was meint Jesus damit, dass er die Tür ist?
Vor ein paar Jahren haben sich etwa 20 Jugendliche aus unserer Pfarrei auf die Firmung vorbereitet. Sie hatten die Nacht von Freitag auf Samstag und den ganzen Samstag in der Herz-Jesu-Kirche verbracht. Sie haben gebetet und nachgedacht, sie haben sich unterhalten, gegessen und getrunken, gespielt und sogar dort geschlafen. Da war das noch möglich, weil die Kirche immerhin aus 15 Grad geheizt werden konnte. In diesem Jahr haben die Jugendlichen im Pfarrzentrum St. Matthias geschlafen – aber den Tag hier verbracht. Vor einigen Jahren haben wir dann um 23 Uhr Eucharistie gefeiert – eingetaucht in rot-gelbes Licht. „AngeFEUERt“ – war das Thema.
Plötzlich ging die Tür auf. Ein Mann – vielleicht zwischen dreißig und vierzig Jahren alt – trat herein. Sein Gang war etwas schaukelnd… Ich hatte so meine Vermutungen… Ich dachte: „Oje, wie bekommen wir den ohne Aufsehen wieder raus! Und wir müssen die Tür abschließen, damit wir nicht noch mehr ungebetene Gäste bekommen“….
Der Mann kam näher, sagte sehr höflich: „Guten Abend. Ich habe von draußen das schöne Licht in der Kirche gesehen! Darf ich eine Zeitlang hier sein?“
Da kann man nicht nein sagen… Die Jugendlichen waren sichtlich irritiert, ein bisschen ängstlich – vielleicht aber auch neugierig, wie diese Situation sich denn nun weiter entwickeln würde. Ich erklärte dem Mann kurz, was wir tun. Und dass das eine gute Stunde dauert. Dann setzte er sich, schaute und hörte aufmerksam und konzentriert zu.
Wir machten einfach weiter. Ich hatte ihn schon gar nicht mehr im Blick – da stand er auf, nachdem eine Musik zu Ende gegangen war und sagte höflich und bestimmt: „Ich möchte jetzt gehen. Vielen Dank!“ Und er ging….
Ich glaube, wir haben alles richtig gemacht!
Wenn Jesus von sich selbst sagt, dass er die „Tür“ ist, dann meint er damit wohl die „offene Tür“ zu Gott, den freien Zugang. Der Weg von unten nach oben ist offen – und umgekehrt. Der Weg von draußen nach drinnen ist offen – um noch viel mehr umgekehrt: von drinnen nach draußen – wie er es selbst sagt: Er führt seine Schafe hinaus, ja er treibt sie sogar hinaus….
Im 9. Kapitel des Johannesevangeliums hat Jesus den Mann geheilt, der von Geburt an blind war. Er hatte einen Brei aus Erde und Spucke gemacht und dem Mann auf die Augen gestrichen und gesagt: „Wasch dich im Teich Schiloach“. Der Mann machte es, und konnte sehen. Natürlich hatte Jesus den Sabbat für dieses Zeichen ausgesucht – und damit viele rechtgläubige Juden und die jüdische Obrigkeit aufs Äußerste provoziert. „Er kann kein Mensch „von Gott“ sein, wenn er am Sabbat heilt!“ – sagten sie.
In diese Situation hinein sagt Jesus: „Ich bin die Tür“. Ich bin für den Mann, der blind geboren wurde, die Tür – die Tür zum Leben, zum Leben in Fülle… Ich bin der Zugang zu Gott, denn Gott ist zugänglich. Der Weg ist frei! Ihr braucht keine Eintrittskarte zu kaufen! Es gibt kein Drehkreuz, wo ihr euch durchschlängeln müsstet. „Ich bin die offene Tür zu Gott, die menschgewordene Einladung Gottes. Auf Euch wartet der „zugängliche Gott“ – zu dem findet Ihr durch die Freundschaft mit mir!“
So erweist sich Jesus als der Gute Hirt, den der Prophet Ezechiel beschreibt:
„Er gibt acht auf die Herde, er holt sie zurück aus der Zerstreuung, aus Wolken und Dunkelheit, er sammelt sie aus allen Völkern, lässt sie weiden auf den Bergen Israels, auf guter, fetter Weide.
Er wird die Verlorenen suchen, die sich verirrt haben, wird er zurückbringen, die Gebrochenen wird er stützen, die Schwachen stärken, und auch den Fetten und Starken Einhalt gebieten…“ (Ez 34, Übersetzung in Gerechter Sprache).
Jesus greift dieses Bild auf und sagt: „Ich bin dieser Hirt, den Ezechiel voraussagt, der den Zugang zu Gott öffnet, den die Hirten im Volk verbaut haben. Ich bin die Tür in der Mauer. Die Tür in die Freiheit, vor allem für die Armen und Schwachen.“
Ein solcher freier Zugang duldet keine Türsteher mehr, keine Rausschmeißer – wie in einer Disco, kein Sicherheitspersonal, auch keinen Engel mit dem Flammenschwert – am Eingang des Paradieses. Das ist der Unterschied zum „Himmlischen Jerusalem“ am Ende: da gibt es keine Türen mehr, keine Barrieren. Zutritt erwünscht!“ „Herzlich willkommen!“
Der Dichter Rainer Kunze bringt das auf seine Art in seinem wunderbaren Gedicht „Einladung zu einer Tasse Jasmintee“ zum Ausdruck:
„Treten Sie ein,
legen Sie Ihre Traurigkeit ab,
hier dürfen Sie schweigen!“
Seit Corona ist unsere Kirchentür normalerweise ganztägig geöffnet. Wer hier kommt und geht, weiß der Herr allein. Manchmal ergeben sich Gespräche – mit Jutta Thommes, Petra Weiland, mit mir oder einem anderen Teammitglied. Dann kommen die Sorgen zur Sprache, die Gründe, warum jemand da ist – für wen er oder sie eine Kerze anzündet. Oft ist das frühere Krankenhaus ein Anknüpfungspunkt. Manchmal sind es auch Fremde, die Trier erkunden und die irgendwie – vom Hauptweg weg – in unsere Kirche gefunden haben. Meistens gehen wir selbst sehr berührt, bewegt oder staunend nach Hause – über das, was sich im Gespräch getan hat.
Und da ist es dann gar nicht mehr so leicht zu sagen, wer da jetzt die „Offene Tür“ war – Hauptsache, die befreiende und heilende Geistkraft Gottes hat in Bewegung gebracht. Das Geheimnis Gottes hat sich „ereignet“.
„Treten Sie ein,
legen Sie Ihr Taurigkeit ab,
hier können Sie leben!“
Eine sehr wertvolle, tiefe Auslegung mit dem kurzen Gedicht von R. Kunze am Ende.
Besonders gut die Formulierung: Gott ist immer „zugänglich“.