Lebenszeichen: Abschied von den Weißen Schwestern in der Medardstraße am 1. September

Wieder mal ein Abschied von den Weißen Schwestern… diesmal schließt die Wohngemeinschaft in der Medardstraße. Ich konnte mit den Schwestern Anne-Marie, Leonie, Mathilde, Sigrid und Adelheid zum zweiten und letzten Mal Eucharistie feiern – und zu Mittag essen. Das hätte ich öfter machen sollen! Jetzt ist die Chance vorüber.

Das Evangelium  vom Tag hatte es in sich: 

+ Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas

In jener Zeit 33sagten die Pharisäer und Schriftgelehrten zu Jesus: Die Jünger des Johannes fasten und beten viel, ebenso die Jünger der Pharisäer; deine Jünger aber essen und trinken. 34Jesus erwiderte ihnen: Könnt ihr denn die Hochzeitsgäste fasten lassen, solange der Bräutigam bei ihnen ist? 35Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein; in jenen Tagen werden sie fasten.

36Und er erzählte ihnen auch noch ein Gleichnis: Niemand schneidet ein Stück von einem neuen Kleid ab und setzt es auf ein altes Kleid; denn das neue Kleid wäre zerschnitten, und zu dem alten Kleid würde das Stück von dem neuen nicht passen. 37Auch füllt niemand neuen Wein in alte Schläuche. Denn der neue Wein zerreißt die Schläuche; er läuft aus, und die Schläuche sind unbrauchbar. 38Neuen Wein muss man in neue Schläuche füllen.

39Und niemand, der alten Wein getrunken hat, will neuen; denn er sagt: Der alte Wein ist besser.

Nein, „alt“ und „neu“ ist keine Frage des Lebensalters – das habe ich in dieser Eucharistiefeier wieder erlebt.  Mit französischen Liedern aus Afrika, mit freien Gedanken und Texten – mit einem Schluck Wein aus einem kleinen Glas – das war so jung und frisch….  Mit dieser Haltung brechen die Schwestern wieder auf – ins Seniorenheim der Barmherzigen Brüder oder nach Köln.  Eine neue Mission!

Meine Ansprache am 04. September – 23. Sonntag im Jahreskreis
Predigt

Liebe Schwestern und Brüder,
gestern war ich in der kleinen Gemeinschaft der Weißen Schwestern in der Medardstraße. 5 Schwestern haben eine Jahre lang dort gewohnt. Am bekanntesten ist uns vielleicht Schwester Leonie, die vorher einige Jahre in der kleinen Gemeinschaft in der Südallee gewohnt hat.

Der Anlass für meinen Besuch war traurig. Einerseits.

Die Gemeinschaft wird aufgelöst. 4 Schwestern gehen in das Seniorenzentrum der Barmherzigen Brüder – und Schwester Leonie geht nach Köln, in eine etwas offenere Form des Betreuten Wohnens.

Wir haben die Heilige Messe gefeiert – ganz einfach, um den Wohnzimmertisch – mit den Lesungen aus der Schrift und mit französischen Liedern aus Afrika. Das Evangelium hatte es in sich: „Junger Wein gehört nicht in alte Schläuche! Man näht kein neues Stück Stoff auf ein altes Kleid!“ Das hat gesessen. Danke Jesus, dass wir ja offensichtlich auch zum Alten Eisen gehören – alte Schläuche, alter Wein.

Da sind wir natürlich nicht stehen geblieben. Die Schwestern haben deutlich gemacht – dass sie bis zu ihrem Lebensende Missionsschwestern sind – dass sie eine Mission haben. Vielleicht nicht in Afrika – oder in Arabien oder im Magreb. Auch nicht unbedingt in den Pfarreien hier in Deutschland, wo sie leben.

Sie sind ja oft hoch in die achtzig – und mit Rollator, Hörgerät, Brille und Gebiss missioniert es sich nicht so gut. Das hatten wir am Tag zuvor miteinander bedacht, bei einer Messe in St. Matthias zu ihrem jährlichen Begegnungstag – 40 Schwestern und Trier und Köln kamen zusammen, ohne ihre liebevollen Begleitungen wäre so etwas gar nicht mehr möglich.

Wie auch die Umstände sein mögen – sie haben eine Mission. Nämlich auch den letzten Lebensabschnitt tapfer zu bestehen – und dafür Zeugnis abzulegen, dass sie an den Gott des Lebens glauben – und dass er sie in die Arme schließen wird, am anderen Ufer, wenn sie die prall gefüllten Netze ihres Lebens als Missionarin hinter sie lassen können, nach dem Wort des Herrn.

Viele von ihnen sind in den entlegensten Gebieten Afrikas Menschenfischerinnen gewesen – in der Krankenpflege, in der Bildungsarbeit, in der Menschenrechtsarbeit, im Aufbau von kleinen Gemeinschaften. Sie haben Christus verkörpert – in der Person Christi agiert – ohne auf die Erlaubnis von Kirchenmännern zu warten. Sie waren stärkere und wirksamere Aposteleinnen, Botinnen des Reiches Gottes, als es so mancher Priester oder kirchlicher Würdenträger.

Ich höre ihre Lebensgeschichten meistens erst, wenn ihre Asche auf unserem Mattheiser Friedhof bestattet wird. Die meisten entscheiden sich für eine Urnenbestattung, gegen ihre Tradition, weil das den Orden billiger kommt. Auch in der Bestattung noch ein gutes Werk: sie schon die finanzellen Reserven für die Unterbringung der pflegebedürftigen Schwestern und für die einheimischen Schwestern in Afrika. Vorher feiern wir in der Basilika die Auferstehungsmesse, in der ihr Leben gefeiert wird. Ich bin jedes Mal von den Socken, was diese Frauen erlebt, getan und verändert haben.

Sie waren und sind Jüngerinnen Jesu – sie haben alles auf eine Karte gesetzt – auf ihn. Sie haben vieles gering geachtet, ihre Herkunftsfamilie, die Gründung einer eigenen Familie, vielleicht auch ihr eigenes Leben – sie haben sie gezeigt, wer ihr Herr und ihr Geliebter ist.

Und jetzt, im letzten Lebensabschnitt blicken sie der Herausforderung wieder ins Auge – der „Challenge“ wie man Neudeutsch sagt – sie nehmen die Herausforderung an und versuchen aufrecht und klar den Weg ans andere Ufer zu gehen. Wenn das keine Mission ist….

Nein, „alte Schläuche, alter Wein“ – das wäre das letzte, was mir zu ihnen einfallen würde. Da wirken viele jüngere Kirchenmänner und Jugendliche auf mich viel älter, eingefahrener, ängstlicher, lust- und kraftloser.
Ich selbst fühle mich beschämt, wenn ich dann so überlege, woran mein Herz hängt, welche Prioritäten ich setze, wie „bürgerlich“ meine Nachfolge aussieht.

Am Ende der Messe gestern in der Medardstraße habe ich Schwester Leonie für ihren unauffälligen Dienst in der Pfarrei gedankt, wir haben ihr eine Kopie des Mattheiser Marienbildes für ihr Zimmer in Köln mitgegeben. Und dann haben wir zusammen gegessen und getrunken und das „Großer Gott wir loben dich“ gesungen.

Beim Rausgehen sagte eine von ihnen: Tja, dann tschüss Herr Pastor, bis spätestens zur (nächsten) Beerdigung. Ich habe geantwortet: „Ich freu mich drauf!“ Wirklich.

Am 1. September haben wir in der Basilika St. Matthias den Begegnungstag der Weißen Schwestern gefeiert. 
Hier das Evangelium und Ansprache:

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas

In jener Zeit, 1als Jesus am Ufer des Sees Gennesaret stand, drängte sich das Volk um ihn und wollte das Wort Gottes hören. 2Da sah er zwei Boote am Ufer liegen. Die Fischer waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. 3Jesus stieg in das Boot, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein Stück weit vom Land wegzufahren. Dann setzte er sich und lehrte das Volk vom Boot aus.

4Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon: Fahr hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus! 5Simon antwortete ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen.

6Das taten sie, und sie fingen eine so große Menge Fische, dass ihre Netze zu reißen drohten. 7Deshalb winkten sie ihren Gefährten im anderen Boot, sie sollten kommen und ihnen helfen. Sie kamen, und gemeinsam füllten sie beide Boote bis zum Rand, so dass sie fast untergingen.

8Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder. 9Denn er und alle seine Begleiter waren erstaunt und erschrocken, weil sie so viele Fische gefangen hatten;10ebenso ging es Jakobus und Johannes, den Söhnen des Zebedäus, die mit Simon zusammenarbeiteten.

Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.

Ansprache

Musik-Einspielung „Pescador de hombres“

 https://youtu.be/yJ1LBq_B4dY

Du bist am Ufer gestanden,
schautest nicht aus nach Weisen und Reichen.
Nur eines willst du:
Dass ich dir folge.
Du Herr, blicktest mir in die Augen
Riefest freundlich mich bei meinem Namen,
dort am Strande
hab mein Boot ich gelassen
um mit dir neue Ufer zu sehen.

Du Fischer andrer Gezeiten
Lang ersehnt und erhofft von den Menschen,
nimmst mich in den Dienst und in deine Freundschaft.
Du Herr, blicktest mir in die Augen
Riefest freundlich mich bei meinem Namen,
dort am Strande
hab mein Boot ich gelassen
um mit dir neue Ufer zu sehen.

Ansprache

 Liebe Schwestern, liebe Festgemeinschaft,

dieses Evangelium weckt Erinnerung an eine Reise auf einen anderen Kontinent, nach Südamerika. Das Lied, das wir gehört haben, könnte am Titicacasee spielen, hoch in den Anden… ich sehe das kleine Boot, mit dem wir zur Sonneninsel gefahren sind, ich spüre förmlich die Stille dort oben – das Gefühl Gott ganz nahe zu sein – und die Angst, als wir im Dunklen ohne Licht zurückgefahren sind zum Hafen…

Das Evangelium nimmt uns mit in die Zeit, in der alles begann. In die Freude des Anfangs, die uns – in vorgerücktem Alter – manchmal doch sehr weit entfernt scheint. Wir haben zu viel erlebt – als dass wir die Leichtigkeit und Freude des Anfangs so ohne weiteres wieder in uns wecken könnten. Das ist halt nicht mehr möglich, nach so vielen Jahren und Jahrzehnten.

Jesus sitzt im Boot, das er bei Petrus ausgeliehen hat, und fordert von Petrus etwas Unerhörtes: „Fahr noch einmal hinaus auf den See! Und werft dort eure Netze aus!“ Sie waren doch gerade erst zurückgekehrt, waren todmüde – und hatten nichts gefangen.

Packt noch mal Eure Sieben Sachen, geht anderswo hin, lasst Eure Freiheit und Selbstbestimmtheit hinter euch – geht in eine neue Schwesterngemeinschaft, ins Seniorenheim, nach Köln, wer weiß… und fangt noch einmal von vorn an!

Nein, Herr, es ist genug. Nicht nochmal. Wir haben die ganze Nacht gefischt – wir haben das Leben hinter uns, wir haben so oft unsere Sieben Sachen eingepackt und ausgepackt – uns auf neue Menschen eingestellt, andere Mitschwestern, Menschen, für die wir da waren – neue Verhältnisse, andere Herausforderungen… nein, bitte nicht nochmal. Wir sind müde und erschöpft….

Aber Jesus bleibt bei seinem Auftrag: Fahrt nochmal auf den See hinaus! Unerhört – oder tollkühn, je nachdem.

Petrus antwortet: Auf dein Wort hin, Herr! Aber auf dein Wort hin… Nicht auf das Wort der Oberin, der Koordinatorin, der Ökonomin – sondern auf dein Wort hin, werde ich nochmal packen – und mein Netz zum Fang auswerfen.

Was für eine Vorstellung. Da soll es nochmal hinausgehen – erschöpft und satt von einem gelebten Leben, noch einmal hinaus mit Stock, Rollator und Rollstuhl, mit Brille und Hörgerät, mit Gebiss und künstlicher Hüfte und Knie… So sollen wir noch einmal die Netze auswerfen? Ja, genau so!

Das ist die neue Mission, für den letzten Lebensabschnitt. So wie die Männer aus dem Freundeskreis Jesu, so sind Sie als Frauen aus seinem Kreis bereit, es nochmal zu  wagen und aufzubrechen. Sie bleiben Ihrer Mission treu.

Jetzt besteht die Mission nicht mehr im Aufbau eines Krankenhauses, einer Sozialstation oder einer Schule. Sie müssen keine Katechist*innen mehr ausbilden und keine Netzwerke gründen. Sie müssen nicht mehr für den nötigen Geist und die nötigen Finanzen sorgen.

Die neue Mission heißt: den letzten Abschnitt zu gehen – und zu bezeugen, dass am Ende Jesus steht, der Sie in seine Arme schließt und der sie dann mitnimmt ans andere Ufer. Die prall gefüllten Netze ihres Lebens müssen Sie dahin nicht mehr mitnehmen.

Ihre Netze sind wirklich prall gefüllt. Ich bin immer wieder tief berührt, wenn ich hier bei der Verabschiedung der Schwestern die Lebensgeschichten höre – die Stationen, die Aufgaben, die Kreise, die ihr Leben gezogen hat. Die Netze sind voll von gelebtem und durchlebtem Leben – von der Freude des Anfangs und der Mühe der Ebene – von Hoffnung und Aufbruch, von Enttäuschung und Zweifel – von Erfolg und Scheitern – die Netze sind gefüllt bis zum Rand, dass sie zu reißen drohen….

Welche seltsamen Fische sind dann in der letzten Lebensphase im Netz finden – diese Erfahrung muss wohl jede und jeder von uns ganz persönlich – und vielleicht auch allein machen.

Am Ende jedenfalls steht Jesus, die wie so oft im Lukasevangelium den ermutigenden Satz sagt: „Fürchte dich nicht!“ Er tut genau das Gegenteil von dem, was Petrus – wieder mal übertreibend – sagt: „Geh weg von mir, ich bin ein Sünder“ – Jesus tut genau das Gegenteil: er kommt nah heran und sagt: Fürchte dich nicht! Menschen wirst Du fangen…

Und Petrus – nimmt die Hand (in einer anderen Geschichte) lässt sich herausziehen – und geht Jesus hinterher, folgt ihm nach – ans andere Ufer….

Diese Schritte „ans andere Ufer“ stehen uns allen bevor, egal wie alt wir sind. Sie kommen. Für jede*n. Mit Sicherheit. Und jede*m blickt Jesus in die Augen und sagt: „Fürchte dich nicht!“

Von nun an wirst du…. Tja, was?

Lassen wir noch mal das Lied vom Titicacasee sprechen:
Du Fischer andrer Gezeiten
Lang ersehnt und erhofft von den Menschen,
nimmst mich in den Dienst und in deine Freundschaft.

Du Herr, blicktest mir in die Augen
Riefest freundlich mich bei meinem Namen,
dort am Strande
hab mein Boot ich gelassen
um mit dir neue Ufer zu sehen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.