NACHT DER SOLIDARITÄT
Ausgrenzung macht krank!
Unter dem Motto Ausgrenzung macht krank! findet die 5. Nacht der Solidarität am Freitag, den 6. September 2024 um 20:30 Uhr in der Herz Jesu Kirche (Ecke Nikolaus-Str./Friedrich-Wilhelm-Str.) statt.
Als Ehrengast ist der Bitburger Priester Stefan Hippler dabei, der in Südafrika das Projekt Hope leitet.
Die Nacht der Solidarität 2024 beginnt mit einem Gedenken an das Leben von Ulla Meyer, die sich Ehrenamtlich unermüdlich für die AIDS-Hilfe eingesetzt hat, und für Pfarrer Ralf Schmitz, dessen Engagement für Vielfalt und Menschenrechte gewürdigt werden soll.
Im Anschluss lädt das sredna_team mit der Trierer AIDS-Hilfe zum Treffen unter der Empore bei Speis und Trank ein. [Jetzt mit allen Texten.]
Musik zum Einstieg: Johann Sebastian Bach: Allemande (Marie Ecarnot)
Begrüßung 1
Marc-Bernhard Gleißner:
Herzlich willkommen zur Nacht der Solidarität in Herz Jesu, die zum 5. Mal hier in Herz Jesu stattfindet. Ein halbes Jahrzehnt und damit eigentlich schon eine Tradition. Und Traditionen muss man aufrechterhalten und verändern.
Dabei muss eine Tradition nichts Altbackenes sein. Solidarität zu leben mit anderen Menschen, den Blick auf marginalisierte Gruppen zu legen, fordert uns tagtäglich heraus. Und so freuen wir uns vom sredna-Herz Jesu team, dass wir mit der AIDS-Hilfe Trier eine lange Freundschaft pflegen. Eine Freundschaft, die den Finger in die Wunde legt. Da, wo katholische Kirche nicht unbedingt so gerne hinschaut: Wenn es aufeinmal um Sex, um Krankheit, um Stigmatisierung geht.
Die Nachfolge Jesu anzutreten, bedeutet aber immer an die Ränder der Gesellschaft zu gehen. Dorthin zu gehen, wo Menschen ausgegrenzt werden, wo Armut ist. Armut ist materiell, Armut ist sozial, wenn man in wenigen sozialen Beziehungen lebt, die auffangen, Armut ist seelisch, wenn Einsamkeit das Leben dominiert und Armut ist Krankheit an Leib und Seele. Jesus ist zu all denen gegangen, die krank, ausgegrenzt, deren Arbeit verpönt war, die von anderen ausgegrenzt wurden sind. Und das wir mit Euch, lieber Bernd und liebe Mitglieder der AIDS-Hilfe heute wieder einmal Solidarität mit Ausgegrenzten üben und Sie in unser Gedächtnis bringen, damit erlaubt ihr uns, in der Nachfolge Christi zu sein. Und deswegen lade ich Euch alle ein, wer will, die Nacht der Solidarität in die Gemeinschaft Gottes mitzugeben: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Heute wird die Nacht der Solidarität etwas anders sein, da wir heute auch ein Requiem für Ulla Mayer und Ralf Schmitz halten.
Begrüßung 2:
Bernd Geller:
Einen schönen guten Abend und auch vonseiten der Aidshilfe Trier herzlich willkommen!
Marc-Bernhard hat es in seiner Eröffnung ja schon gesagt: Die Nacht der Solidarität findet nun bereits zum fünften Mal hier in Herz-Jesu und gemeinsam mit euch und dem sredna-Team statt. Unterbrochen durch die beiden Corona-Jahre, in denen wir pausiert haben, blicken wir somit auf eine siebenjährige Zusammenarbeit zurück. Eine ganz schön lange Zeit!
Doch die Trierer Nacht der Solidarität hat noch eine längere Geschichte. 2006 zogen fünf Ehrenamtliche der Aidshilfe Trier mit Bauchläden und Infomaterial ausgestattet durch die Kneipen am Viehmarkt. Damals haben wir Unterschriften für eine deutschlandweite Petition gesammelt, um die Pharmafirmen zu verpflichten, kindergerechte Dosierungen und Verabreichungsformen ihrer HIV-Medikamente zu entwickeln, was gerade in Afrika dringen benötigt wurde.
Ehrlich gesagt war ich damals sehr skeptisch, dass wir mit diesem Thema die Menschen überhaupt erreichen könnten. Doch ich hatte mich geirrt und die große Resonanz der Aktion ließ uns für das folgende Jahr einen schon etwas größeren Infostand planen. 2007 wurden dann auch erstmals Kerzen in Form der Aidsschleife aufgestellt und entzündet.
Aus diesen Anfangsjahren habe ich gelernt, dass Solidarität auch dort ist, wo man sie vielleicht erst einmal nicht vermutet. Und dass wir den Menschen zutrauen dürfen, nicht immer nur sich selbst zu sehen, sondern auch einmal den Blick auf das große Ganze zu werfen.
In den Folgejahren wuchs die Nacht der Solidarität immer mehr heran. Schließlich gab es sogar eine kleine Bühne auf dem Kornmarkt mit Reden, Moderation und Benefizkonzerten von Künstlerinnen und Künstlern aus der Region. Auch das war eine schöne Zeit. Doch irgendwann war die letzte Note gesungen, das letzte Wort verstummt, und es stellte sich die Frage: Was bleibt von alledem?
Damals habe ich gelernt, dass Solidarität doch eher auf leisen Sohlen daherkommt und eben nicht die große Bühne braucht, um ihre Wirkung zu entfalten.
Es folgten zwei Jahre Zwangspause, weil uns Wetterkapriolen alle Planungen zunichtemachten. Doch auch das – genauso wie später zwei Jahre Corona-Pause – hat unsere Nacht der Solidarität überstanden. Und ich habe gelernt, dass Solidarität immer wieder aus Neue Anknüpfungspunkte finden kann und selbst in den schweren Zeiten nicht pausiert.
Seit 2018 sind wir nun zu Gast in Herz-Jesu. Das war damals eine große Hürde – weniger vonseiten des sredna-Teams als vielmehr von uns in der Aidshilfe. Denn Aidshilfe und Kirche, da gab es doch den ein oder anderen Knackpunkt.
„Wenn du die Nacht der Solidarität in eine Kirche verlegst, wird niemand unserer Stammbesucher*innen mehr kommen“, so wurde damals prophezeit. Aber wenn ich mich heute umschaue, hat das wohl nicht gestimmt.
Und somit habe ich gelernt, dass Solidarität in Gemeinschaft eine umso größere Wirkung erzielt. Und dass der Wunsch nach Solidarität – im wörtlichen Sinne – un-glaubliche Gemeinschaften entstehen lassen kann, wenn wird dafür offen und bereit sind, uns auf den Weg zu machen und unbekanntes Terrain zu erkunden.
Ihnen, unseren Wegbegleiter*innen über all diese Zeit, danke ich ganz herzlich für Ihre Solidarität, und ich wünsche uns allen einen schönen Abend und viele gute neue Erfahrungen.
Requiem:
Jean-Daniel Braun: Minuetto (Marie Ecarnot)
Gedenken an Ulla Mayer
Bernd Geller:
Haben Sie es gesehen, als Sie heute die Herz-Jesu-Kirche betreten haben? Oder haben Sie es vielleicht gehört? Und wenn Sie es nicht bewusst bemerkt haben, ist es Ihnen vielleicht unbewusst aufgefallen?
Was meint er, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen. Ich meine, dass ein Mensch, der immer da war, heute fehlt. Und nicht nur heute!
Ulla Meyer war nie ein lauter Mensch. Sie hätte sich niemals in den Mittelpunkt gedrängt und wollte nie, dass man viel „Geschiss“ um sie macht, wie sie es wohl selbst ausgedrückt hätte. Aber trotzdem kannten wohl alle, die schon mal mit der Aidshilfe zu tun hatten, die Frau mit der pinken Haarsträhne. Denn da, wo es hieß anzupacken und zu helfen, da war Ulla immer an erster Stelle.
Ulla war quasi ein Urgestein der Aidshilfe. Sie war länger ehrenamtlich bei uns als jede und jeder andere. Sie war schon da, bevor ich in die Aidshilfe gekommen bin.
Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich als Praktikant angefangen habe, vor mehr als 26 Jahren. Ich war damals sehr unsicher, ob ich denn an einem Infostand Fragen richtig beantworten oder in einem Schulworkshop die Vermittlungsmethoden richtig anwenden würde.
Doch Ulla hat meine Verunsicherung gespürt und mir meine Ängste genommen. Was ich selbst erst Jahre später erfahren habe: Ulla war zu dem Zeitpunkt selbst noch recht neu und hatte ähnliche Sorgen wie ich. Doch weil sie meine Selbstzweifel spürte, stärkte sie mir den Rücken, und genau das war es, was ich damals gebraucht habe.
Trotz Ullas manchmal etwas ruppiger Fassade hatte sie immer ein gutes Gespür dafür, was andere Menschen gerade benötigen. Das erklärt auch die vielen Ehrenämter, die Ulla parallel ausführte: in der Aidshilfe Trier, in der Aidshilfe Rheinland-Pfalz, im SCHMIT-Z, in der AfA-Kleiderkammer und zwischenzeitlich auch in einem Corona-Testzentrum.
Doch was besonders typisch war: Sie ging mit diesen Ehrenämtern nicht hausieren und hat es wohl einfach nur als selbstverständlich angesehen da zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird.
Ulla konnte aber auch gnadenlos ehrlich sein, was sie mitunter auch mal anecken ließ. Ich erinnere mich noch gut an einen CSD, wo wir einen Gast aus der Aidshilfe Koblenz hatten, der uns beim Infostand unterstützte. Wolfgang war, ähnlich wie Ulla, ein Charakter, blickte auf lange Jahre ehrenamtlicher Erfahrung zurück und nahm kein Blatt vor den Mund. Beide sahen sich nur und gingen sofort wie Hund und Katze aufeinander los. Es wurde laut, Infomaterial wurde lautstark von einer Ecke des Tisches auf die nächste geknallt und wieder zurück, und alle anderen am Stand gingen in Deckung.
Ich selbst war bei einer anderen Aktion eingeteilt und bat daher Armin, Ullas besten Freund, ein Auge auf die beiden Streithähne zu werfen. Er schüttelte nur heftig den Kopf und sagte: „Ich bin doch nicht lebensmüde.“ Am Ende meiner Schicht kam ich an den Infostand zurück und rechnete schon mit zwei Toten. Doch Ulla und Wolfang waren mittlerweile ein Herz und eine Seele und haben später noch einige Infostände friedlich und freundschaftlich zusammen gestaltet. Auch das war unsere Ulla.
Am 3. März hatte Ulla beim Aufbau des von Armin und ihr geleiteten Sonntagsfrühstücks in der Aidshilfe einen Schlaganfall. Zwei Tage später ist sie verstorben.
Von der großen Lücke zu sprechen, die ihr Tod hinterlassen hat, wäre ihre Sache nicht gewesen, dafür war sie zu bescheiden. Doch sicher hätte es ihr gefallen, wenn wir uns an die schönen Geschichten mit ihr erinnern und die Dinge, die ihr wichtig waren, gemeinsam in die Zukunft tragen. Das liegt nun in unseren Händen!
Halleluja von Leonard Cohen auf arabisch (Mohamed Kushari)
Gedenken Ralf
Marc-Bernhard Gleißner:
Ralf Schmitz hat seine Texte in Arial verfasst. Das ist keine beiläufige Anekdote, sondern Programm bei ihm gewesen. Anekdotisch ist vielleicht, dass Arial eine symmetrische Schrift ist und darauf kam es ihm in seinen Perfektionismus die Kirche zu gestalten, irgendwie auch an, aber das programmatische ist: Arial ist eine serifenfreie Schrift. Also ohne Endstriche und Schnörkel, dadurch einfacher zu lesen und barrierefreier.
Diese Barrierefreiheit war einer der core values, eine Herzangelegenheit ein Glaubenssatz von Ralf. Inklusion zu denken, zu leben und zu sprechen. Ob dies sein Leben mit Menschen mit Behinderung in Kanada, sein Tätigkeit als Seelsorger für die Gehörlosen im Bistum Trier war, sein vehementes Eintreten für die Priesterweihe der Frau oder aber die Öffnung der Kirche zur LGBTIQA+ Community.
Dies hat Ralf mit einer Leidenschaft getan und er hat immer klar kommuniziert: Diese Kirche hat ein Problem mit den Menschenrechten.
Und für diese hat er gestritten. Er hat Menschenrechte liturgisch gefeiert, gepredigt, Netzwerke geöffnet, für einen Wandel gestritten und immer wieder die Liebe hochgehalten, für die wir alle streiten und einstehen sollen, ob wir glauben oder nicht, ob wir Christen, Juden, Muslime oder Hindus sind. Und alle waren hier in der Kirche willkommen und sind es. Das war Ralf.
Zu seinem Gedenken möchte ich gerne Ralf zitieren. Aus einer der ersten Nachrichten, die er mir geschickt hat und mit der unsere Freundschaft begann. Es ist ein Auszug aus einer Predigt über den Barmherzigen Samariter (Lk, 10, 25-37):
Im Jahr 2005 kämpfte in Kanada eine starke Bürgerrechtsbewegung für die Möglichkeit der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare. Andere Gruppen kämpften genauso erbittert dagegen. Unter ihnen war die Katholische Kirche bzw. die katholische Bischofskonferenz.
An etlichen Sonntag ließen die Bischöfe durch die Priester gegen die Homoehe von der Kanzel wettern. Nach dem Gottesdienst sollten die Gläubigen sich in Unterschriftenlisten gegen die Homoehe eintragen. Am Montagmorgen mussten die Pfarrämter die Listen in die Bischöfliche Behörde faxen. Wer nicht spurte, also faxte, bekam nachmittags einen Anruf und die Nachfrage, wo denn die Listen blieben.
Pater Doug verlas den Text nicht, er legte keine Unterschriftenlisten aus und faxte nichts in das Bischofsbüro.
Nun hatte sich der Bischof zu einem Besuch angesagt. Monseigneur Jean-Louis Plouffe saß also beim Kaffee mit Pater Doug im Pfarrhaus. Sie sprachen über dies und das… Der Bischof schnitt das Homoehen-Thema nicht an.
Irgendwann wurde es Doug zu bunt, und er sagte frei heraus: „Sie haben von mir keine Listen bekommen und sie werden Sie auch nicht bekommen. Ich hetze keine unterdrückte Minderheit gegen eine andere unterdrückte Minderheit auf!“
Der Bischof war überhaupt nicht beeindruckt.
Er sagte. „Ach, das mit der Homoehe… Meine Mutter lebt in einem Appartmentblock in Ottawa. Sie hat Wind von der Unterschriftenaktion bekommen. Sie hat mich sofort angerufen und gesagt: „Wag Dich nur nicht, etwas gegen die Schwulen zu unternehmen. Im Apartment neben mir wohnt ein sehr nettes schwules Paar. Die tragen mir immer die Einkauftüten rauf und den Müll runter. Du bist ja nicht da, um mir zu helfen. Das sind ganz feine Leute! Wag Dich nur nicht, etwas gegen die zu sagen!“
Liebe Schwestern und Brüder,
wer hat sich Ihnen als Nächster, als Nächste erwiesen? Es muss ja nicht das „Homopaar in der Nachbarwohnung“ sein, wie bei Mme Plouffe.
Aber vielleicht war es auch bei Ihnen jemand, mit dem Sie nun gar nicht gerechnet hätten… der oder die sich einfach von Ihrer Not betreffen ließ. Und vielleicht hat sich von denen, mit denen Sie gerechnet hätten, keiner blicken lassen.
Nehmen Sie sich diesen Nächsten, diese Nächste zu Ihrem persönlichen Vorbild.“
Nehmen wir uns den Nächsten zum Vorbild. Nehmen wir diesen Gedanken von Ralf mit, wenn wir an ihn denken.
Das folgende Lied heißt Lazarus: Es ist einer der Lieder, die Ralf und ich zu Beginn unserer Freundschaft hörten. Ein Vers aus diesem Lied klingt mir nach:
Die Geister der Zwischenwelt werden dich begleiten
und goldene Sommer werden dich umsorgen.
Komm zu uns, Lazarus.
Es ist an der Zeit, aufzustehen.
Musik: Video Porcupine Tree Lazarus (Video)
https://www.youtube.com/watch?v=WeyIOc_A3G4
Zeugnisse der Solidarität
Erster Teil Anspiel: Verzweiflung
Jean-Daniel Braun: Invenzione (Marie Ecarnot)
Text: Während trostlose Städte an meinem Fenster vorbei fliegen, schimmert ein fahler Mond durch wabernde Nebelschwaden. (Porcupine Tree: Lazarus)
Zeugnis Arbeit mit Inhaftierten (Bernd Geller)
Seit ein paar Jahren führe ich in den Ausbildungsgängen der Justizvollzugsschule Rheinland-Pfalz Workshops im Auftrag der Trierer Aidshilfe durch. Ein Workshop thematisiert den heutigen Wissensstand zu HIV & Hepatitis, der andere widmet sich der Sexualität in Haft.
Doch gerade der zweite Workshop stößt bei den Anwärter*innen für den Justizvollzugsdienst nicht immer auf ein positives Echo. Sexualität in Haft – das habe ja nichts mit ihrer Arbeit zu tun, damit sei man noch nie in Berührung gekommen und davon wolle man auch nichts wissen – so ist zumindest von einem Teil der Anwärter*innen zu hören.
Doch Sexualität ist ein Teil der Lebensrealität in Haft, genauso wie Drogenkonsum und illegales Tätowieren. Wegschauen ist da keine Lösung. Laut Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO haben 1,4 % aller Inhaftierten auf der Welt HIV – das ist doppelt so viel wie in der Allgemeinbevölkerung.
Die Deutsche Aidshilfe schätzt für Deutschland eine Infektionsrate von 1 % bei Menschen in Haft. Damit hätten Inhaftierte in Deutschland sogar ein zehnfach höheres Infektionsrisiko als die Allgemeinbevölkerung.
Und Kondome? Die gibt es in einigen rheinland-pfälzischen Gefängnissen, doch längst nicht in allen. Und geeignete Gleitmittel? Die gibt es bislang nirgendwo! Genauso wenig wie sexuelle Bildungsangebote für Gefangene. Und sauberes Spritzbesteck? Daran braucht man in deutschen Gefängnissen in aller Regel gar nicht erst zu denken.
Doch es gibt Lichtblicke: Bei Angeboten zur Substitution für Drogen gebrauchende Gefangene sind die rheinland-pfälzischen Gefängnisse sehr engagiert. Und in einer der größten Justizvollzugsanstalten des Landes ist gerade der Aufbau einer Abteilung nur für substituierte Gefangene in Planung – mit entsprechenden Bildungsangeboten zum Schutz vor HIV und Hepatitis.
Es tut sich also was in den rheinland-pfälzischen Haftanstalten – wenn auch noch langsam.
Zweiter Teil Anspiel: Trauer
Michel Blavet: Rondeau (Marie Ecarnot)
Text: Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. (Joh 11, 21)
Zeugnis Arbeit MSM (Bernd Geller)
Auf der Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, liegt in Hinblick auf HIV schon seit Jahrzehnten ein enormer Infektionsdruck. Unter ihnen haben also – in Relation gesehen – deutlich mehr HIV, so dass jede Nachlässigkeit in Hinblick auf Safer Sex viel leichter zu einer Weitergabe des Virus führen kann als in der Allgemeinbevölkerung.
Die gute Nachricht: Seit mehreren Jahren schon sinkt der HIV-Infektionsdruck in dieser Hauptbetroffenengruppe. Dank der gut angenommenen Testangebote werden Infektionen heute früher erkannt und behandelt, und unter Therapie werden HIV-Infektionen schon nach kurzer Zeit nicht mehr weitergegeben.
Außerdem nutzen Männer, die Sex mit Männern haben, vermehrt die PrEP, eine medikamentöse Vorbeugung der HIV-Infektion.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Über viele Jahre hat unsere Gesellschaft mehr und mehr akzeptiert, wenn sich zwei Frauen oder zwei Männer lieben. Doch mittlerweile gibt es wieder verstärkt gesellschaftlichen Gegenwind. So hören wir etwa in unseren Schulworkshops wieder vermehrt Sprüche wie: „Schwule sind krank.“ – „Schwule haben sich gefälligst anzupassen.“ – „Regenbogenflaggen sollte man verbrennen.“ – „Wäre mein bester Freund schwul, würde ich ihm aufs Maul hauen.“
Viele von uns sind es leid, sich immer wieder mit Rechtspopulismus auseinanderzusetzen. Oder wir reden uns ein, das sei nur ein Problem in den ostdeutschen Bundesländern oder eines der ewig Gestrigen. Doch gerade auch unsere Kinder driften verstärkt nach rechts. Und das macht mir Angst, denn sie sind unsere Zukunft.
Kämen wir wirklich auch hierzulande dahin, dass nicht mehr öffentlich über Homosexualität gesprochen oder keine CSDs mehr frei abgehalten werden könnten, wären auch alle Erfolge der HIV-Prävention verloren.
Denn Präventionsarbeit erfordert das offene Gespräch.
Und niemand würde etwa mehr seine Ärzt*innen auf HIV-Test, Therapie oder die PrEP ansprechen, wenn Ablehnung und Diskriminierung wieder zum Normalzustand würden.
Wir haben es in der Hand, wohin das Pendel unserer Gesellschaft ausschlägt.
Dritter Teil Anspiel Resignation
Instrumental Gitarre (Mohamed Kushari)
Text: Sorge Dich nicht, mein David. Diese grausame Welt ist nichts für Dich. (Porcupine Tree)
Zeugnis Arbeit mit Sexarbeiter*innen (Janine Ritz)
Ich bin seit kurzer Zeit Mitarbeiterin bei ara, der Beratungsstelle für Sexarbeitende in Trier. Hier ist die aufsuchende Arbeit besonders wichtig, weil dort der direkte Kontakt zu den Sexarbeitenden besteht.
Eng mit dem Gesundheitsamt Trier Saarburg zusammen klären wir bei der Streetwork auf, dass es ein anonymes und kostenfreies Testangebot gibt und auch gynäkologische Untersuchungen ohne Krankenkasse dort stattfinden können.
In Trier gibt es eine sehr hohe Anzahl an Sexarbeitenden, das liegt an der Grenznähe zu Luxemburg und Frankreich. In beiden Ländern ist Sexarbeit verboten. In Deutschland gilt das Entkriminalisierungsprinzip. Sexarbeit ist hier legal. Mit der hohen Zahl an Sexarbeiterinnen steigt auch die Anzahl der Frauen mit Informationsbedarf und solchen in Notlagen. Die Frauen bleiben oft nur einige Wochen vor Ort und wechseln dann in eine andere Region und durch die Corona-Pandemie gibt es vermehrt Menschen, die illegal in der Sexarbeit tätig sind. All das macht die Erreichbarkeit für uns sehr schwer.
Viele Sexarbeitende haben von Mythen zu Verhütungsmitteln gehört oder haben Ängste vor diesen wegen unzureichender Aufklärung in den Heimatländern. Einige haben noch nie von Medikamenten zur Behandlung von HIV gehört und setzen sich immer wieder einem erhöhten Infektionsrisiko aus: z.B. durch Sex ohne Kondom mit Kunden, Kondomrisse, Stealthing (heimliches Abziehen von Kondom während GV) und Sex unter Drogeneinfluss.
In Trier sind viele Sexarbeiterinnen mit Migrationshintergrund. Glaube und Sozialisierung stehen der Aufklärung in den Heimatländern oft entgegen. Sexarbeiter*innen bilden keine homogene Gruppe. Weltweit sind sie in besonderem Maß Stigmatisierung, Gewalt und Kriminalisierung ausgesetzt, was ihre Vulnerabilität für HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten deutlich erhöht. Hier gibt es vermehrt MSM, Trans* Menschen, IVDs und Menschen in Haft und es herrscht ein hoher Infektionsdruck durch: 1. Gewalterfahrungen und Angst vor Gewalt, 2. Finanzieller Unsicherheit und existenzielle Not, 3. Belastungen psychischer Art, die oft in Zusammenhang mit erlebter Stigmatisierung stehen, 4. Kriminalisierung und fehlende Legalität.
Der weitere Ausbau eines niederschwelligen Präventions- und Beratungsangebots hinsichtlich HIV und STI und mehr Aufklärung wären schön, doch sind unsere Kapazitäten begrenzt. Ein einfach zugängliches und auf Sexarbeiter*innen zugeschnittenes Test-, Therapie- und Beratungsangebot könnte so ein gesundheitlich sicheres Umfeld für Sexarbeiter*innen und ihre Kund*innen bieten.
Vierter Teil Anspiel Wut
Instrumental Gitarre (Mohamed Kushari)
Text: Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, war er im Innersten erregt und erschüttert. (Joh 11, 33)
Zeugnis Arbeit mit Drogenabhängigen (Bernd Geller)
Auf der Welt-AIDS-Konferenz in München fand in diesem Jahr eine ganz besondere Kunstaktion statt: Die feierliche Nichteröffnung des ersten Drogenkonsumraums in Bayern.
Drogenkonsumräume sind seit 2020 in Deutschland zugelassen. Es handelt sich um Räume, in denen Menschen unter Aufsicht in einem sauberen und sterilen Rahmen ihre selbst mitgebrachten Drogen zu sich nehmen können. Steriles Spritzbesteck wird zur Verfügung gestellt, Fachkräfte helfen bei lebenspraktischen Problemen, und Drogen können mittels Schnelltests auf Verunreinigungen etwa durch Fentanyl untersucht werden. Dadurch lassen sich tödliche Überdosierungen vermeiden – genauso wie durch die Ausgabe des Naloxon-Nasensprays, der die Wirkung von Opiaten aufheben und bei Überdosierungen Leben retten kann.
Doch all das ist in Bayern weiterhin verboten: Denn Bayern ist eines von lediglich zwei westdeutschen Bundesländern, das noch keine Rechtsverordnung zur Einrichtung von Drogenkonsumräumen erlassen hat. „Todesfall wegen geschlossen“ stand daher auch auf dem Schaufenster des in der Münchner Kunstaktion nachgebauten Drogenkonsumraumes.
Diese Kunstaktion könnte übrigens auch problemlos in Mainz, Ludwigshafen, Koblenz oder Trier stattfinden, denn Rheinland-Pfalz ist das andere westdeutsche Bundesland, das sich bislang gegen eine entsprechende Rechtsverordnung sperrt.
Und damit ist auch alles zur Arbeit der Trierer Aidshilfe für intravenös Drogen gebrauchende Menschen gesagt: Es gibt sie nicht, denn wir haben nichts, was wir Drogen gebrauchenden Menschen zum Schutz vor HIV- oder Hepatitis-Infektionen anbieten könnten.
Manchmal fühlt es sich auch in Rheinland-Pfalz ein bisschen an wie in Bayern.
Fünfter Teil Anspiel Mut/Aufbruch
Instrumenatal Gitarre (Mohamed Kushari)
Text: Die Geister der Zwischenwelt werden dich begleiten und goldene Sommer werden dich umsorgen. Komm zu uns, Lazarus. Es ist an der Zeit, aufzustehen. (Porcupine Tree)
Zeugnis Prävention mit Trans-Menschen und nicht-binären Menschen (Vincent Maron)
Recherchiert man zu diesem Thema im Netz findet man leider nur wenige Ergebnisse. Auch in der Beratung von trans* und nicht-binären Menschen spielt das Thema HIV oder STI kaum bis gar keine Rolle. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass dieser Personenkreis nicht weniger von HIV und STI´s betroffen ist – es gibt zu wenige Studien, kaum Anlaufstellen und kaum Sichtbarkeit in der queeren Community und der Zivilgesellschaft.
Obwohl es schon seit vielen Jahrzehnten eine spielt. Auch trans* Personen, vor allem Transfrauen, gehörten wie schwule Männer in den Anfängen der Aids -Pandemie in Deutschland zu der Hauptbetroffenengruppe. Sie wurden jedoch nicht als trans* Personen anerkannt – auch nicht von allen Personen aus der queeren Community. Man liest aus dieser Zeit eher Berichte über „Männern in Frauenkleidern“, „Männern, die weibisch aussehen und sich schminken“ oder „Transen“. Genau dies toxische und entmenschlichte Sprache macht es schwer eine vernünftige und dialogische Arbeit mit trans* und nicht-binären Menschen im Zuge der Gesundheitsprävention auf die Beine zu stellen.
Das Stigma wiegt schwer auf den Schultern der Personen – gefüttert durch rechtsradikale Kreise, Unwissenheit, Diskriminierung und fehlende Akzeptanz aus der Community.
Aber es tut sich was! Bereits 2023 hat die Deutsche Aidshilfe – gemeinsam mit dem RKI – ein umfassende Studie zur „Sexuellen Gesundheit bei trans* und nicht-binären Menschen“ durchgeführt, seit über fünf Jahren gibt es bereits trans* Rolemodels im Projekt „Ich weiß was ich tu!“ und Einiges an Infomaterial. Es sind jedoch diese ersten – manchmal noch zaghaften und kaum bemerkbaren – Schritte auf die weitere sichtbare und großangelegte Projekte folgen müssen.
Schlussendlich, um auch das Schweigen innerhalb der trans* und nicht-binären Community über HIV, STI´s und sexuelle Gesundheit zu brechen.
Abschluss Anspiel: Hoffnung
Johann Sebastian Bach: Bourrée Angloise aus Partit (Marie Ecarnot)
Text: Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen! (Joh 11, 43f.)
Musik: Abschlusslied aus Drei Frauen (Mohamed Kushari)
Impuls von Stefan Hippler (Video):
Musik: Johann Sebastian Bach: Badinerie (Marie Ecarnot)
Fürbitten
„Du Gott der Liebe, Du kennst unserer unruhiges Herz, unsere Hoffnung und unsere Angst. Du kennst aber auch unsere Leidenschaft, unsere Kraft für andere und für Gerechtigkeit, gegen Ausgrenzung und Hass einzutreten. Entfache unser Herz und lass uns beten:“
„Wir sind in Gedanken bei allen, die Ausgrenzung erdulden müssen, nur weil sie vermeintlich „anders“ sind als die Mehrheitsgesellschaft. Wir wünschen ihnen Kraft, so dass sie nicht vereinsamen oder verzweifeln.“
Zwischenruf: Here I am Lord instrumental (Marie Ecarnot)
„Wir sind in Gedanken bei allen, die selbst andere Menschen ausgrenzen. Wir wünschen ihnen Erkenntnis, dass Vielfalt eine Bereicherung für uns alle ist. Ja, Vielfalt kann auch manchmal eine Herausforderung sein. Aber eines ist Vielfalt nie: eine Bedrohung.“
Zwischenruf: Here I am Lord instrumental (Marie Ecarnot)
„Wir sind in Gedanken bei allen, die unsere Politik mitgestalten. Wir hoffen, dass ihr euch bei euren Entscheidungen vor Augen haltet, wie sehr Ausgrenzung krank machen kann. Gesundheit ist ein Grundrecht, das es ohne Wenn und Aber zu verteidigen gilt – für alle Menschen!“
Zwischenruf: Here I am Lord instrumental (Marie Ecarnot)
„Wir sind in Gedanken bei allen, die müde davon sind, für eine bessere Gesellschaft zu kämpfen. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit waren noch niemals etwas Selbstverständliches. Wenn wir aufhören, sie gegen ihre Feind*innen zu verteidigen, haben wir sie schon verloren.“
Zwischenruf: Here I am Lord instrumental (Marie Ecarnot)
„Wir sind in Gedanken bei allen, die nicht mehr bei uns sind. Ihr habt eine Lücke interlassen, die sich nicht füllen und sich mit keinen Worten dieser Welt betrauern lässt. Doch ganz so, wie es auch in eurem Sinne wäre, stehen wir hier und heute beisammen und setzen eure Arbeit fort. Das sind wir nicht nur euch, sondern auch uns selbst schuldig.“
Zwischenruf: Here I am Lord instrumental (Marie Ecarnot)
„Guter Gott, entfache unser Herz, so wie wir gleich die Kerzen entflammen, lass uns Licht sein gegen die Dunkelheit und für alle die in Dunkelheit leben.“
Mitmachaktion Kerzen vor der Kirche:
Musik: Anonymus: Gigue (Marie Ecarnot), Instrumentale Gitarre (Mohamed Kushari)
Dank
Bernd Geller
- Marc-Bernhard und dem sredna-Team
- Stefan Hippler und dem HOPE Capetown-Team
- Bärbel Detering-Hübner, von der ich so vieles lernen durfte
- Gerhard Klein, dem das Thema AIDS und auch das HOPE-Projekt so am Herzen liegt, dass er es in die Ausbildung am Studienseminar für Realschulen aufgenommen hat
- unseren ehrenamtlichen Helfer*innen, die die Nacht der Solidarität erst ermöglichen
- allen unseren Gästen, die die Nacht der Solidarität erst mit Leben erfüllen
Marc-Bernhard Gleißner:
Zum Schluss möchte ich mich bei allem bedanken, die den Abend möglich gemacht haben. Herzlichen Dank an Stefan Hippler, Vincent Maron und Janine Ritz. Für die Schauspierinnen, die heute das Stück erst eingeprobt haben. Danke fürs Vertrauen an Petra Weiland, Heidi Rischner und Sayuri Krekeler.
Danke für die Musik: Das geht an Marie Ecarnot und Mohamed Kushari.
Danke an das sredna Team, die den heutigen Abend unterstützt haben. Petra Weiland, Matthias und Bruni Werner für das Essen. Auch wollen wir noch etwas in eigener Sache sagen: Wir haben als sredna_team beschlossen weiterzumachen und es war uns eine Freude, die Freundschaft mit der AIDS-Hilfe zu pflegen und die Nacht der Solidarität auszurichten.
Ja, und lieber Bernd, beinahe hättest Du Dich durch die Hintertür durchgemogelt, aber so geht das bei uns nicht. Danke für die tolle Zusammenarbeit und das Hineindenken in sredna. Wir haben ein kleines Abschiedsgeschenk für Dich, denn es wird ja Deine letzte Nacht der Solidarität in Deiner Funktion als Leiter der AIDS-Hilfe. Wir wünschen Dir für Deinen neuen Job alles herzlich Gute.
Abschluss-Segen (Stefan Hippler)
Abschluss-Lied: Eis-Lied (Mohamed Kushari)
Begegnung unter der Empore