„Manifest der besonderen Menschen/Würde – ein Stein des Anstoßes“. Happening & Soup am Samstag, 5. Juni, 11:30

Anmeldung hier

Happening&Soup mit dem IKD Sprechchor (Singflut, Srednas, Syrer, Sexarbeiterinnen)

Die Aufgabe der Kunst kann es nicht sein, Antworten zu geben. Die Stärke der Kunst liegt gerade darin, Anstöße zu geben und Fragen zu stellen, Kontroversen auszulösen und Muster, die wir als selbstverständlich annehmen, so auseinander zu fädeln, dass danach eine Neuorientierung notwendig ist. Und diese Neuorientierung kann nicht leicht fallen. Bei den synoptischen Evangelien findet sich folgende Aussage Jesu: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden. Jeder, der auf diesen Stein fällt, wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen.“ (Lk 20, 17f., Mt 21, 42; Mk 12, 10) Beim sechsten Happening&Soup wird der Eckstein Würde! zum Stein des Anstoßes, wenn bekannte Mitglieder von Sredna und vom Chor Singflut auf Syrer und Sexarbeiterinnen treffen, die ein Manifest der besonderen Menschen/Würde einfordern.

Die Tiger-Figur Hobbes aus dem Comic Calvin&Hobbes hat einmal den provokanten Satz kundgetan: „Es ist schon eine besondere Würde kein Mensch zu sein.“ Mit diesem Satz verletzte er nicht nur seinen besten Freund Calvin, sondern stellte gleichzeitig dessen gesamtes Wertefundament in Frage. Einen Prozess, den wir mit der Ausstellung WÜRDIG!!! ICH| DU| WIR auch miterleben:

Auf der einen Seite haben wir die Praktiker*innen, die von Würde im Sterben, von Kindern und von Obdach- und Arbeitslosen sprechen. Sie präsentieren ein Würdekonzept, das für ihre Arbeit notwendig und hilfreich ist. Ohne dieses Wertefundament wäre Würde tatsächlich nur ein Konjunktiv in sensiblen menschlichen Situationen.

 

(Mitglieder des Chores Singflut v.l.n.r.: Jutta Bongards, Sylvia Deutschen, Carsten Oergel, Jutta Thommes, Ludwig Follmann)

Auf der anderen Seite erleben wir Künstler*innen, die dieses Wertefundament in Frage stellen: Hannah Ma mit ihrer Choreographie, in der sich das Ego von Tänzer Maher Abdul Moaty in Wellenbewegungen auflöst, um die Zerbrechlichkeit des Anderen zu erfahren. Oder in Melanie Telles Performance Würde.Voll.Leben, in dem eine philosophische Expedition in einem Nervenzusammenbruch endet, weil die menschliche Würde eben ein zerbrechliches Gut ist, das antastbar ist – und gerade deshalb schützenswert. Während die Praktiker*innen mit dem Konzept Würde ein Fundament bauen, verwerfen die Künstler*innen den Eckstein, weil er brüchig ist und die gesamte Statik einer so widersprüchlichen und diversen Gesellschaft gar nicht tragen kann.

 

(Petra Klink als Sexarbeiterin)

Zwischen Konstruktion/Aufbau und Analyse/Auseinanderfädeln – zwei sehr handwerklichen Verstehenszugängen – fehlt die Kontroverse. Eine Entgegensetzung von Konstruktion und Analyse wäre die nötige Auseinandersetzung. Mit dem IKD-Sprechchor aus Chormitgliedern der Singflut, Lektorinnen und Schauspielerinnen rund um Sredna, Syrern und Sexarbeiterinnen wird ein Stein des Anstoßes in das Feld der Diskussion geworfen. Und dieser Stein des Anstoßes wird schmerzhaft sein…

…wenn Würde nicht mehr als selbstverständlich genommen wird!

…wenn Würde hinterfragt wird, ob sie in Europa und Afrika denselben Wert hat!

…wenn unser christliches Menschenbild nach widersprüchlichen Würde-Vorstellungen hinterfragt wird!

…wenn Würde bedeutet, Fliehen zu müssen!

…wenn Würde bedeutet, dass Sexarbeiterinnen selbstbestimmt für ihre Arbeit und um sichere Arbeitsbedingungen kämpfen!

Mit diesen Fragen, Aussagen, Forderungen werden besondere Menschen in den Blick genommen. Es gibt keine allgemeinen Erklärungen der Menschenrechte, die wir alle unterschreiben können, sondern Kontroversen, die Neuorientierung und Diskussion bedürfen… und die vielleicht wie Hobbes‘ Aussage „Es ist schon eine besondere Würde kein Mensch zu sein.“ weh tun. Der kleine Calvin gab im gleichen Comic seinem Freund eine spannende Antwort: „Würde ist immer ein Kompromiss zwischen Menschen, und ein Kompromiss, der beiden Seiten nicht weh tut, ist kein guter Kompromiss.“

(v.l.n.r.: Mohamad Laila, Khaled Al-Youssef, Mohamed Kushar, Ahmed Mushari sprechen über die Verbrechen des Assad-Regimes in Syrien)

Bei den drei synoptischen Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas findet sich in Bezug auf den Tempel in Israel folgende bekannte Redewendung: „Kein Stein wird mehr auf dem anderen sein.“ Würde ist für uns ein Tempel: Beides ist heilig, gemeinschaftsbildend und zentral für Glauben und Leben. Trotzdem haben wir unterschiedliche Vorstellungen von dessen Heiligkeit. Diese widersprüchlichen Vorstellungen können eine Gesellschaft zerreißen und den Tempel niederreißen, oder sie können in schmerzhafter Diskussion miteinander getragen und mit sich selbst und anderen auseinandergesetzt werden.

(Sprechchor SREDNA v.l.n.r.: Petra Gerda Weiland, Marc-Bernhard Gleißner, Lisa Wächter, Hilde Worst)

Infobox:

Manifest der besonderen Menschen/Würde ist ein Text, der von Marc-Bernhard Gleißner aus unterschiedlichen Manifesten, Dokumentationen, Bibelstellen, menschenrechtsrelevanten Texten und eigenen Formulierungen zusammengesetzt wurde. Mit dem Mittel des Sprechchors werden gesellschaftliche Diskurse und Diskussionsformate kritisch hinterfragt, indem kollektive und individuelle Sprechparts miteinander konkurrieren, ineinanderfließen, aber in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit als gemeinsame Ensemblearbeit auftreten.

Mitwirkende:

Regie: Marc-Bernhard Gleißner

Leitung Chor: Jutta Thommes

Singflut: Jutta Bongarts, Sylvia Deutschen, Ludwig Follmann, Carsten Oergel, Jutta Thommes.

Sredna: Petra Weiland, Hilde Worst, Lisa Wächter, Marc-Bernhard Gleißner.

Sexarbeiterin: Petra Klink

Syrer: Khaled Al-Youssef, Mohamad Laila, Ahmed Kushari, Mohamed Kushari

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