Würde.Mich.Auflösen – „Happening & Soup“ am Samstag, 15. Mai, 11:30

Am 12.12.2020 gab Hannah Ma mit ihrem Ensemble im Soli-Gottesdienst für Kulturschaffende Einblicke in ihre neuste Choreografie ONDA (italienisch für Welle). Nun feierte dieses Werk am vergangenen Freitag, 07.Mai 2021, Premiere in Luxemburg. Würde.Mich.Auflösen ist nun das Anschlusswerk, dass in der Ausstellung WÜRDIG!!! | ICH | DU | WIR gezeigt wird. Ma bezeichnet ONDA als Weg, um die eigene Würde wiederzufinden. Würde.Mich.Auflösen ist nun das Ergebnis, wenn Tanz als ästhetisches Zeichen in Bewegung, und damit nicht fixierbar oder greifbar, eine Utopie an die Oberfläche eines bewegten Ozeans bringt, in der Würde vollständig Wirklichkeit wird.

Foto von Bohumil Kostohryz

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Der Philosoph Emmanuel Levinas hat den nicht einfachen Gedanken formuliert:
„Die Transzendenz des Anderen, die seine […] Herrlichkeit ausmacht, umfasst in ihrer konkreten Bedeutung sein Elend, seine Heimatlosigkeit und das Recht, das ihm als Fremden zukommt.“ Levinas denkt Ethik und das Individuum von seiner Unverfügbarkeit her. Ein Denken, das in der Philosophie Martin Bubers schon ausgedrückt ist, dass das Ich erst zum Ich durch das Du wird. Levinas verstärkt diesen Gedanken, dass das eigene Denken, Reden und Existieren erst durch den Anderen möglich wird, indem er den Anderen nicht als stark und mächtig, sondern als schwach, vertrieben und fremd anerkennt.

An dieser Stelle wird für Hannah Ma Philosophie zum Tanz. 2015 gründete sie die Tanzkompanie The people united (dt. die Menschen/Völker vereint). Mitglieder dieses Ensembles waren Menschen aus aller Welt, Geflüchtete aus Syrien, Migranten und Menschen, die auf der Suche nach einer Gemeinschaft über Grenzen hinweg waren. Mit H.E.R.O.E.S erschuf sie ein Stück, dass über die Entzweiung der Menschen sprach und den Gründen des Krieges nachfühlte. Hier stand der Andere in seiner Unverfügbarkeit im Mittelpunkt. Der Versuch der Unterwerfung führte zur Entzweiung und wurde zum Sinnbild des Kriegs. Würde war kein Konzept der Akzeptanz des Anderen in seiner Schwachheit, sondern eine Ethik der Enttäuschung und des Versuch seiner machtvollen Unterwerfung.

Seitdem sucht Hannah Ma nach Zitaten, Bewegungen, Mythen, die den Anderen ohne Unterwerfung sehen. Doch bevor ihr der Blick nach vorne gelang, warf sie den Blick zurück und fand in Werken wie Wanderer eine Macht des Ritus und des Mythos in Volkstänzen, Traditionen, die sie und uns alle bewegen und formen. Dabei fand und choreografierte sie gewaltsame Akte, wie unsere Würde durch Erziehung, Tradition und Regeln zum Funktionieren geprägt wird. Doch gleichzeitig bot ihr der Volkstanz in seiner mythischen Angst vor Geistern und Dämonen eine kraftvolle Bewegung, die ihn von sich selbst befreite und in Lachen und Losgelöstsein einen Moment der Selbstüberwindung offenbarte.

An diesem Punkt angekommen, begann Hannah Mas Reise Into the Unknown (dt. Hinein ins Unbekannte), die in ONDA nicht nur auf eine Wellenbewegung traf, die den Tanzstil an Ur-Ausdrucksformen des Menschen im Wasser fand, sondern auch eine neue Philosophie und Ethik. Im Wasser löst sich das Ego auf. Es versucht nicht mehr die Vollkommenheit in sich selbst zu finden, sondern in der Allverbundenheit des Wassers mit allen Menschen. Im Wasser interessieren nicht mehr die Kategorien, sondern – und da sind wir wieder bei Levinas – die ungezähmte Vielheit des Anderen, der Anderen in ihrer Armut, in ihrem Elend, in ihrer Heimatlosigkeit.

Hier begegnen wir in den choreografischen Ausdrucksformen eine Vielfalt und Widersprüchlichkeit, die sich biographisch schon an den Tänzer*innen zeichenhaft ablesen lässt: Maher Abdul Moaty, Tänzer aus Syrien, der die Entwürdigung eines Bürgerkrieges, der Flucht und dem Verlust von Heimat durchlitt. Sergio Mel, der als Migrant aus Brasilien zwischen Wut und Trauer zerrissen ist, genauso wie zwischen alter und neuer Heimat. Es findet sich die innere Ruhe und Kraft von Christine Reinartz, die wie eine Welle ihre Kraft aus sich selbst schöpft. Aber auch die Choreografin fließt in die Bewegung mit ein, mit ihrer Heimatlosigkeit und den Verlust eines geliebten Menschen.

Kraft und Elend, Wut und Zerrissenheit des Anderen treffen hier aufeinander, sie bilden die Wellen die ONDA in Tuchfühlung mit dem Mythos schuf und brechen diese im Elend des Anderen. Das Ergebnis ist alles andere als eine Depression: Würde.Mich.Auflösen spricht nicht von der Auflösung der eigenen Existenz. Im Gegenteil Auflösen ist ein Gelöstsein. Im Elende des Anderen ist das eigene Elend aufgehoben und befreit das Ich von der Gewalt, stets verfügbar für sich selbst oder der anderen zu sein. Wenn im Satz Ich würde mich auflösen. Ich und Mich aufgelöst werden, bleibt die Würde. Im Konjunktiv, aber sie bleibt, da sie immer auf den anderen angewiesen ist.

Infobox:

Choreografin: Hannah Ma ist eine deutsch-chinesische Choreografin, die Wien, Stuttgart und Hagen ausgebildet wurde. Als Tänzerin hatte sie an vielen Theatern Engagements, so auch am Theater Trier. 2014 gründete sie ihre eigene Company „hannahmadance“: https://www.hannahmadance.com/

 

Tänzer*Innen:

Christin Reinartz begann ihre berufliche Ausbildung 1999 an der staatlichen Ballettschule Berlin. 2008 bis 2015 hat sie an verschiedenen Theatern in Deutschland gearbeitet. Seit 2015 arbeitet Christin Braband als freischaffende Tänzerin und Tanzpädagogin (Bachelor in Kindheitspädagogik. Mit Hannah Ma arbeitet sie seit 2015 und war in den Produktionen, Nutkracker, H.E.R.O.E.S,  WANDERER und Sylphides- human, fishes, birds zu sehen. Sie arbeitet zusätzlich als Hannah Mas Referentin.

Sergio Mel wurde in Brasilien geboren, wo er lange als Tänzer und Choreograf gearbeitet hat, bevor ihn seine beruflichen Wege u. a. nach China führten. Er arbeitet als multimedialer Performer und beherrscht verschiedenste Tanztechniken wie Capoéira und Noveau Cirque. Sergio Mel  lebt seit 2015 in Luxemburg und arbeitet seit 2016 mit Hannah Ma. Er war in den Produktionen, Nutkracker, H.E.R.O.E.S, WANDERER und Sylphides- human, fishes, birds zu sehen und arbeitet auch als Hannah Ma s Assistent und Probenleiter.

Maher Abdul Moaty begann seine Ausbildung zum Tänzer in Syrien. Mittlerweile hat er seinen Stil zwischen traditionellem arabischen und zeitgenössischen europäischen  Tanz entwickelt. Er integriert in seine Arbeit verschiedene kulturelle Perspektiven und er glaubt an die Notwendigkeit, dass interkulturelle Standpunkte mit einander verwoben werden müssen, um neue Impulse im für das Tanztheater zu setzen. Er arbeitet als Tänzer, Choreograph und Workshopleiter in Deutschland, Schweden und Frankreich.

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