Filmbesprechung „Ostern (Remix)“ – eine Vielstimmigkeit im Umgang mit Verrat, Tod und Auferstehung

Was können Menschen im Angesicht von Verrat, Aufspaltung von Gesellschaft, einer Kirche, die immer mehr an Vertrauen verspielt, Tod, Krieg und Vernichtung noch glauben? Diesen Fragen geht der Film Ostern (Remix) nach. Ausgangspunkt war dabei nicht die Glaubensfrage, sondern Trip Hop-Lieder. Von elektronischer Musik ausgehend erschloss sich ein 17-köpfiges Ensemble in Interviews die Grundfragen des Osterglaubens für das Jetzt und Hier. Das Ergebnis war ein Remix von Sinnsuche, Kritik und Überzeugungen.

 

Ein Remix ist die Veränderung eines Lieds, um dessen Spieldauer, Rhythmen oder Melodien zu variieren. Dieser Umgang mit Musik kommt aus der elektronischen Musik der 90er Jahre: Erst wollte man Lieder dadurch tanzbarer machen, dann wurde es zur Kunstform, die das Originallied in Fragmente auflöste, um dessen inneren Kern zu finden.

Dieser Umgang mit Musik diente als Kompositionsmethode, um aus Interviews, elektronischer Musik, Ausschnitten aus den Click&Point-Videospielen von Rusty Lake und Szenen von August Strindbergs Jahresfestspiel Ostern den Film Ostern (Remix) zu einem Ganzen zu verweben.

Gezeigt wurde der Film in der Alternativen Ölbergstunde am 01.04.2021 um 22 Uhr in der Herz-Jesu-Kirche. Regisseur Marc-Bernhard Gleißner eröffnete die Ölbergstunde mit dem Kreuzzeichen und den Gründonnerstag-Ruf: „Betet und wachet!“ Trotz Corona und unter Einhaltung des Corona-Schutz-Konzepts wurde in Eigenproduktion Interviews aufgenommen, so dass Gleißners Projekt IKD (Initiative Kulturelle Diakonie) Kultur im Lockdown produzieren konnte. So wurde vor Filmvorführung noch das neue Logo von IKD gelauncht, dass die Künstlerin Lio Vandrey entwarf.

 

Der Film Ostern (Remix) begann mit dem Trip Hop Klassiker Unfinished Sympathy, der englischen Band Massive Attack aus Bristol, und warf in den ersten Minuten schon die Frage von Leiden und Ungerechtigkeit auf. Während Matthias Berg direkt zu Beginn des Films die Frage stellte, woran man glauben könne, antwortete Miriam Hennemann in dem fiktiven Dialog, der sich zwischen beiden entspann und nur Produkt des Schnitts/Remix war, die Antwort, dass ein Leben ohne Schmerzen nicht zu erwarten sei. Sie erklärte Gründonnerstag zur Metapher für Wachstumsschmerzen. Krise als Entwicklung im Leben sei notwendig, habe aber keinen Grund, keine Erklärung. Dieser Ohnmacht gegenüber Leid im Privaten und Ungerechtigkeit in der Welt bildete eine zentrale Frage der Gedanken über Gründonnerstag, die Elke Grün, Pastoralreferentin aus Luxemburg abschloss mit der Forderung Ungerechtigkeit in der katholischen Kirche zu enttabuisieren, Opfern von Missbrauch zuzuhören und dies auszuhalten.

An diesem Punkt des Aushaltens von Ungerechtigkeit setzte der zweite Teil des Films, Karfreitag ein: Geprägt von den deprimierenden Klängen zu El Mañana von den Gorillaz fragte Maurice Stolze nach der Unangepasstheit von Ostern im Kontrast zu den Anforderungen der Leistungsgesellschaft. Ähnlich fragte auch Amjad Al Aswad, der als Muslim die Leidensgeschichte Jesu nach Johannes über das Projekt kennenlernte, nach der gesellschaftlichen Dimension von Karfreitag und hielt fest, dass Karfreitag der Tag sei, an dem der Hass gewinne. Während Stolze dies auf wachsenden Leistungsdruck bezog, unter den man nur zusammenbrechen könne, verwies Al Aswad auf Kriege und Diktaturen. Elke Breit-Kündgen fasste diese Gedanken zusammen und reflektierte, dass Karfreitag zeigte, wie es auch heute noch Ungerechtigkeit gebe, die zur absoluten Zerstörung des Menschen führe. Veronika Ziegelmayer setzte diesen Gedanken musikalisch die Beschreibung von Björks Musik vom Album Vulnicura (deutsch Wundpflege) entgegen, dass man in diesen Situationen auch nur Weinen und Wimmern könnte.

Nach diesen Tiefen stellte sich die Frage, wo bleibt dann der Hoffnungsglaube von Ostern? – Hilde Worst erklärte Ostern kurzerhand zum Krieg und erklärte dabei alle Menschen zu Gewinnern. In der Symbolik der Ostermesse gewinnt das Feuer über die Dunkelheit, das Gloria über das Klagelied. Doch kritiklos blieb diese Aussage nicht: Roswitha Bernard konterte, dass die katholische Kirche immer noch die Frau unterdrücke und ihre Leistungen ausblende. Auch Bernhard Riedel kritisierte das Machtmonopol der Kirche und hielt dem entgegen, dass der Tod Jesu die Idee der Teilhabe aller Menschen sei. Dies sei aber nur möglich, wenn man keine Macht ausübe und wisse, wann man die Bühne zu verlassen habe. Dies sei für ihn der hoffnungsvolle Idee von Ostern: Das Alte stirbt, damit Neues entstehen könne. Charlotte Kleinwächter hingegen sprach vom Glauben als performativen Widerspruch: Hoffnungsvoll etwas zu tun, obwohl der Verstand sagt, es ist nicht möglich.

Und als ob diese Vielstimmigkeit nicht genug Unordnung gestiftet hätte, erklärt Kai Willmann zum Schluss der Interviews, Ostern erschließt sich ihm nicht. Den Tod zu feiern sei welt- und lebensfremd.

Zwischen all dieser Vielstimmigkeit sieht man Szenen von August Strindbergs Ostern: Man spürt in den klaustrophobischen Szenen den Druck, der auf Elis lastet, wenn er auf Bitten der Mutter nach einem Prozessfehler sucht, um seinen Vater aus dem Gefängnis zu bekommen, der Mündelgelder veruntreute. Man erfährt den Wahn, der auf Elis Schwester Eleonore lastet, die die Schuld des Vaters nicht wahrhaben will und in ihrer eigenen Welt glaubt, sie habe die Gelder veruntreut. Die ganze Handlung verdichtet sich in der Angst vor Lindqvist, der zu Ostern erwartet wird und von der Familie die Gelder einfordert, um die ihn Elis Vater betrogen hatte. Elis ist klar, wenn die Schulden beglichen werden müssen, hat seine Familie kein Heim mehr und ist der Armut ausgeliefert. Dabei merkt Elis gar nicht, wie im Hintergrund seine Verlobte Christine versucht, die Probleme für Elis zu lösen, da sie überzeugt ist, dass er nicht für die Schuld seines Vaters büßen dürfe. Theologisch setzt Strindberg der Idee der Erbsünde eine Konzept des Erb-Heils entgegen, dass der Mensch schon vor aller Zeit von Schuld und Sünde befreit sei.

Bei der Inszenierung des Stücks wechseln die Schauspieler die Rollen, remixen sie, erschüttern die Klaustrophobie des sterilen weißen Raumes durch Perspektivwechsel und zeigen die Distanz, die zwischen Menschen herrscht, wenn das Gefühl der Schuld sie verbindet. Dabei drückt Hubert Ries die Verzweiflung Elis zwischen Klageschrei und Verwirrung aus. Carla Schött wechselt zwischen der Apartie der Rolle von Frau Heyst, Elis Mutter, hin zu Elis zwanghafter Angst selbst, um zum Schluss als Elis Verlobte Christine Hoffnung zu verbreiten. Heidi Rischner verkörpert den Wandel von Schuld und Erlösung Elis durch Kostümwechsel und Körperhaltung. Der Remix gelingt hier auch auf der schauspielerischen Ebene und zeigt, wie Schuld und Erlösung miteinander verbunden sind. Marie Ecarnot spannt den Bogen zwischen erster und letzter Szene des Stücks: Als Elis im Wahn, der die Gerichtsakten des Vaters nach Fehlern durchsucht, und als Christine mit Erikskrone, die die Gewissheit ausdrückt, dass alles gut wird. Hoffnung wird so, wie Marie Ecarnot in ihrem Interview verdeutlicht, nicht erklärbar, sondern eine Entscheidung für das eigene Leben.

Am Ende des Films bleibt die Frage: Was bleibt nach dieser Vielstimmigkeit noch an Ostern übrig? Oder mit der norwegischen Band Röyksopp gefragt What else is there? Lisa Wächter verfasste für den Film eigens ein Gedicht mit dem Titel [fehl am platz]. Dabei will der Film keine einfache Antwort geben, Ostern so hört man in den letzten Minuten des Films, sei ein Fluchtpunkt, auf den man alle Fragen hin anordnen können, doch wenn man eine Antwort erwarte, stellen sich nur billige und ideologische Aussagen ein. So sehr wie man alle Zügel auf den Fluchtpunkt vereinigen müsse, müsse man diese Zügel auch wieder fallen lassen, damit ein nebeneinander der Antworten der Sinnfragen ohne Hierarchie koexistieren können.

Wie der Abend mit dem dreieinigen Kreuzzeichen begann, so endet er mit der mehrdeutigen Anrufung des Heiligen Geistes, dargeboten durch die glasklare Stimme Sinéad O’Connors in Massive Attacks Track Prayer for England, das theologisch gedeutet eine Hoffnung auf Pfingsten ausdrückt, dass alle Menschen eines Geistes sind und eine Sprache in Frieden sprechen und gleichzeitig mit dem Text des Lieds Macht, Unterdrückung und Missbrauch anklagt. Der Film Ostern (Remix) bleibt sich bis zum letzten treu, er gibt keine Antworten, nur Fragmente von Aussagen, die nebeneinander in ihrer Vielstimmigkeit existieren müssen. Eben ein Remix.

 

– Marc-Bernhard Gleißner

 

Ressonanzen zum Film:

 

„Der Film Ostern (Remix) und seine Sequenzen haben keine lineare Entwicklung. Ein Film im Plural.  Die Sequenzen kreisen um unterschiedliche Fragen, die letztendlich wieder zu sich zurückkehren. So ist das auch mit Ostern. Alles, auch der Karfreitag, bleibt real und gültig.  In dieser Vielfalt ist der Film ein beeindruckendes Zeugnis für die Vielfalt der Stimmen, die hier zu Wort kommen. So sieht Partizipation von Kunst im Glauben aus, wahrscheinlich auch umgekehrt, da kenne ich mich nicht so aus. Großartig, wie die Akteur*innen sind und ihre Erfahrungen zum Ausdruck gebraucht haben. Expert*innen ihres Alltags und ihres (Nicht-)Glaubens.“ – Pfarrer Ralf Schmitz

 

„Ein ganz schön herausfordernder Film.“ – Frank Kuschel, ehemaliger MdL Thüringen

 

„Mich hat diese Vielfalt an unterschiedlichen Ansichten und Meinungen zum Thema Ostern beeindruckt. Die Stellungnahmen von Menschen unterschiedlichen Glaubens hat mir gezeigt, wie es eigentlich in einer Gesellschaft mit sozialem Miteinander sein sollte und wie die Kirche und die Gläubigen praktizieren sollten, um einem christlichen Leitgedanken zu folgen und tatsächlich zu leben.“ Rüdiger Kündgen, ehemaliger Lehrer

 

„Intellektuell herausfordernd.“ – Birke Kleinwächter

 

„Der Film war schwere Kost. Die Szenen von Strindberg Ostern waren großartig inszeniert. Dass der Film nicht immer klare Zusammenhänge herstellen wollte, forderte einen als Zuschauer heraus, selbst Stellung zu beziehen.“ – Monika Sachtleben

 

„Die Vielfalt der Meinungen und Stimmen zu Ostern aus unterschiedlichen Perspektiven gibt dem Film eine beeindruckende Tiefe. Die Szene aus Strindbergs Ostern waren künstlerisch wertvoll gespielt.“ – Juliane Feller

 

„Es ist so schön, von diesen Menschen ihren ganz persönlichen Zugang zu den Kar-und Ostertagen mitgeteilt zu bekommen: da steckt viel Persönliches, Spirituelles und Theologisches drin. Ein wirkliches Zeugnis von jeder und jedem Einzelnen.“ – Pfr Thomas Gerber

 

„Durch den gelungenen Kunstgriff des Regisseurs ist Ostern wieder da angekommen, wo es hingehört: Als historisches Ereignis im Hier und Jetzt!“ – Hubert Ries

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